Die Nase im Sandwich – eine Satire auf die Bürokratie

Reinmar Wagner, Mittelland-Zeitung (20.09.2011)

Nos, 17.09.2011, Zürich

Das Opernhaus Zürich hat Schostakowitschs geniales Frühwerk «Die Nase» mustergültig auf die Bühne gebracht.

Das hat es wohl selten gegeben in einem Programmheft für eine Opernproduktion: Ein Comic anstelle einer trockenen Zusammenfassung als Inhaltsangabe, gezeichnet vom Bühnenbildner Ferdinand Wögerbauer. Er baute für die Inszenierung vom Regie-Altmeister Peter Stein, der – in Pereiras letzter Saison – zum ersten Mal am Zürcher Opernhaus arbeitete, jene 14 filmschnittartig montierten Bilder, welche der erst gerade 22-jährige Schostakowitsch für seine erste Oper vorsah, die er sich aus Gogols bitterböser Novelle «Die Nase» zusammengestellt hatte. Es sind auch auf der Bühne die Bilder eines Comics, zweidimensional und holzschnittartig, mal grösser, mal kleiner, mal höher über der Bühne, mal tiefer gestaffelt, dekoriert mit den kurzen Ausrufen des Genres in Leuchtschriften. Und angereichert nicht nur mit grosser Theater-Erzählkunst und versierter Detailarbeit, sondern auch einem überaus wachen Sinn für die lustvolle Inszenierung der Situationskomik: eine Demonstration der Souveränität im Handwerklichen vom Regie-Grossmeister Peter Stein.

Seltsame Dinge spielen sich ab in St. Petersburg. Der Barbier Jakowlewitsch beisst beim Morgenessen herzhaft in sein Brot – und findet darin eine Nase. Eine eben solche fehlt beim Aufwachen dem Major Kowaljow, was dieser nicht sehr lustig findet. Jakowlewitsch entsorgt die verdächtige Sandwich-Beilage sofort im Kanal. Aber das wache Auge der Staatsgewalt schläft nicht. Doch plötzlich taucht eine Nase in der prächtigen Uniform eines Staatsrats auf und sorgt für Verwirrung, Volksaufstände – und auf geheimnisvolle Weise ist am Ende alles wieder wie zuvor.

Schostakowitsch wählte das 1836 entstandene, surrealistische und sarkastische Werk Gogols, eine Satire auf die Beamten-Bürokratie unter Zar Nikolaus II., inmitten der Aufbruchsstimmung der 20er-Jahre, die auch in der Sowjetunion nach der erfolgreichen Revolution und dem futuristischen Glauben an die Möglichkeiten von Volk und Technik für künstlerisch ergiebige Freiheiten gesorgt hatte. 1930 wurde Schostakowitschs «Nase» in St. Petersburg uraufgeführt, aber bereits da hatte der Wind gedreht, und das Werk wurde trotz Beifalls des Publikums durch Pressekampagnen verunglimpft, ähnlich wie vier Jahre später «Lady Macbeth von Mzensk».

Turbulentes Geschehen

Ingo Metzmacher am Pult des Zürcher Opernorchesters war Garant für eine Umsetzung, die Schostakowischs unbekümmert durch alle Stile schwadronierende Tonsprache sowohl zu ihrem Recht kommen, aber nicht aus dem Ruder laufen liess. So konnte sich das gesamte Ensemble – und das Stück verlangt trotz zahlreicher Doppelbesetzungen mit über 30 Sängern nun wirklich das ganze Ensemble – sängerisch ins turbulente Geschehen einfügen, ohne ständig forcieren zu müssen. Herauszuheben ist sicher ein in jeder Beziehung souveräner Lauri Vasar als Kowaljow, aber auch Alexej Sulimov als Polizeiwachtmeister, Pavel Daniluk oder Eva Liebau wussten sich auszuzeichnen. Das ganze Ensemble jedoch integrierte sich mit begeistertem Elan in diese turbulente und manchmal auch bitterböse Inszenierung. Die rhythmisch oft vertrackten Passagen gerieten nie ins Wanken, die Strahlkraft der Stimmen verlor keinen Glanz und die Komik in der Musik, die zwischen grosser Operngeste, Volksmusik, Choral und Burleske schillert, sorgte immer wieder für Heiterkeit.