Elisabeth Schwind, Südkurier (19.09.2011)
Peter Stein inszeniert am Opernhaus Zürich die erste Aufführung von Schostakowitschs „Die Nase“. Ingo Metzmacher dirigiert die rundum gelungene Produktion
Als Platon Kusmitsch Kowaljow eines Morgens erwacht, ist seine Nase verschwunden. Gleichzeitig findet sein Barbier in seinem Brot – eine Nase. Es ist der Beginn einer kafkaesken Odyssee durch Amtsstuben und Gesellschaft des zaristischen Russlands. Dmitri Schostakowitsch hat die Groteske, auf Grundlage der Erzählung von Nikolaj Gogol, 1929 zu einer Oper verarbeitet, die nun erstmals am Opernhaus Zürich zu sehen ist.
An Skurrilität lässt die Handlung nichts zu wünschen übrig: Der verzweifelte Kowaljow trifft seine Nase betend in der Kirche wieder. Doch sie trägt inzwischen die Uniform eines hohen Beamten und verhält sich entsprechend hochnäsig ihrem Besitzer gegenüber. Dieser findet weder bei der Polizei Gehör noch in der Zeitungsredaktion, wo man sich aus Angst um den eigenen Ruf weigert, eine Suchanzeige für eine entlaufene Nase zu veröffentlichen („Auch so sagt man schon, dass viel Unsinn gedruckt wird.“). Nachdem das Gerücht um eine spazierende Nase in der Stadt eine Massenhysterie ausgelöst hat, löst sich auch Kowaljews Nasenproblem so unmittelbar wie es gekommen ist. Kowaljow ist wieder ein ganzer Mann – und flirtet hocherleichtert mit den Damen.
Schostakowitsch komponierte „Die Nase“ als 22-Jähriger. Die Repressalien der Stalinzeit lagen noch vor ihm. Und so steckt seine Partitur voller Tatendrang, rückhaltloser Modernität, voller Schrill- und Schroffheit. Ingo Metzmacher am Pult des Orchesters der Oper Zürich ist genau der richtige Mann, um die Scharfkantigkeiten der Partitur ins rechte Licht zu rücken. Sicherlich, die große Batterie an Schlagzeug, die in irrem Zickzack verlaufenden Bläserlinien oder die sich aufschaukelnden Massenszenen (beste Choreinstudierung: Ernst Reffelsberger und Lev Vernik) lassen das Zürcher Haus gelegentlich an akustische Grenzen stoßen. Doch Schostakowitschs wild collagierte Musik macht einfach Spaß.
Und das umso mehr, als das Opernhaus wieder mit einer Fülle an hervorragenden Solisten aufwartet. Im Mittelpunkt steht Lauri Vasar als Kowaljow, ein angenehm warm klingender Bariton, der die melancholischen Untertöne seines verzweifelten Helden sehr schön mitschwingen lässt und auch durch sein natürliches, nie übertreibendes Spiel alle Sympathien gewinnt. Valeriy Murga ist der Barbier, dessen streitsüchtige Frau (furios hysterisch: Liuba Chuchrova) ihn wegen der Nase im Brot erst mal aus der Wohnung wirft. Leonid Bomstein singt die selbstgefällig umherstolzierende Nase, Alexej Sulimov den Wachtmeister, den Schostakowitsch als Karikatur angelegt hat: Die extrem hohe Stimmlage lässt ihn mehr schreien als singen. Stellvertretend für die weiteren Sänger in einer schier endlosen Besetzungsliste seien noch Michael Laurenz als Kowaljows Diener Iwan und Eva Liebau als Tochter im heiratsfähigen Alter erwähnt.
Erstmals inszenierte Peter Stein am Opernhaus. Und seine Lust an dem Stoff ist dieser Arbeit anzumerken. Mit der ihm eigenen Genauigkeit hat er den Text gelesen und mit Liebe zum Detail umgesetzt. Ferdinand Wögerbauer hat ihm dafür ein Bühnenbild gemacht, das mit geometrischen Formen und in seiner Bildsprache an Künstler des frühen 20. Jahrhunderts wie Malewitsch oder Kandinsky denken lässt oder an den Film „Metropolis“. Die schnellen, wie Filmschnitte wirkenden Szenenwechsel handhabt Stein souverän und routiniert. Eine kluge und witzige Produktion, die dem Werk rundum gerecht wird.