Roger Cahn, Deutschlandradio Kultur (17.09.2011)
"Die Nase" von Dmitri Schostakowitsch im Züricher Opernhaus
Altmeister Peter Stein und Ingo Metzmacher machen aus Schostakowitschs Opernerstling "Die Nase" in Zürich ein Ereignis. Sie richten einen schwer verdaulichen Brocken kulinarisch mit viel Liebe zum Detail an - das Premierenpublikum war begeistert.
Die Story von Nikolaj Gogol könnte einem absurden Theaterstück entsprungen sein: Ein Petersburger Beamter wacht eines Morgens ohne Nase auf. Er tut alles, um sie wieder zu finden und an ihren angestammten Ort zurück zu bringen. Dabei ist er allen liebenswürdigen wie bösartigen Reaktionen seiner Umwelt ausgeliefert - ein Alptraum, aus dem er am Ende wieder in aller Frische erwacht. Die Musik bleibt möglichst nahe an der Sprache.
In 16 teils kurzen Szenen nutzt Schostakowitsch all seine Freiheiten und liefert ein hervorragend komponiertes Patchwork: von russisch- orthodoxer Kirchenszene und romantischem Liebeslied bis hin zum rein perkussiven Intermezzo oder zum kakofonen Quartett, in dem vier Menschen zeitgleich vier Briefe lesen, die eigentlich hintereinander geschrieben werden.
Diese vollkommen "wahnsinnige Partitur" hat Peter Stein fasziniert. Seine Affinität zur russischen Kultur allgemein - und zu Tschechows Dramen im Speziellen - macht ihn zum idealen Regisseur für "Die Nase". Er hält sich ziemlich genau ans Libretto, führt seine Personen exakt nach Klang und Rhythmus der Musik und kreiert mit Hilfe des in Schostakowitschs Zeit angesiedeltem Bühnenbild (Ferdinand Wagenbauer) und Kostümen aus Gogols Epoche (Annemarie Heinreich) eine Bildersprache, die überzeugt und begeistert.
Die raschen Szenenwechsel bewältigt er reibungslos, indem er die intimen Momente in kleine Guckkästen setzt und die Massenszenen auf der Gesamtbühne ansiedelt. Die Technik ist gefordert - Stein darf mit der ganz grossen Kelle anrühren.
Dirigent Ingo Metzmacher ist dafür der ideale Partner. Er führt und kontrolliert das musikalische Geschehen mit viel Einfühlung in die Regie. Sowohl große Chorszenen, intime Augenblicke, wie feine Groteske klingen überzeugend. Nie überzeichnet - auch er sehr nahe bei Schostakowitsch und Gogol.
Mit dem estnischen Bariton Lauri Vasar steht für die Hauptrolle des Beamten ohne Nase eine Idealbesetzung zur Verfügung. Sowohl stimmlich wie darstellerisch bleibt er stets so natürlich wie möglich: keine Gags, keine Witze, keine Knallcharge. Fazit: Der Aufwand hat sich gelohnt. Wer "Die Nase" geniessen will, sollte diese Aufführung unbedingt sehen.