Tobias Gerosa, Basler Zeitung (22.11.2011)
Platt aktualisiert und laut, aber trotzdem eindrücklich: Verdis «Otello» am Opernhaus Zürich
«Vernichtung!» skandiert der Chor, und mit «Der Muselmanenhochmut ist im Meer begraben!» tritt der Titelheld in Giuseppe Verdis zweitletzter Oper «Otello» triumphal auf. Die eben siegreichen Venezianer meinen die Türken – und bei Regisseur Graham Vick die Fremden und schwarzen Schafe allgemein. Das zeigen die sattsam bekannten, in Brechtscher Manier eingefügten Plakate mit weissen und schwarzen Schäfchen und Raketen-Minaretten.
Ausgenommen davon ist natürlich dieser Otello, der Konvertit und General für die schweren und schmutzigen Aufgaben, wie sie im Irak oder in Afghanistan zu erledigen waren. Der Schock, dass Otello schwarz ist, funktioniert heute nicht mehr wie zu Shakespeares Zeiten, doch die Mechanismen der Angst und Ausgrenzung sind gegenüber Moslems dieselben.
Fehlende Stringenz
Hier setzt Vick an und entfesselt zur Sturmmusik einen Bildersturm von weissen Choristen, die sich panisch schwarz schminken, von Kleiderverbrennung und Kriegsberichterstattung.
Anders als die Musik, die ihre dramatische Dichte über die vier Akte eindringlich hält, verpufft der Inszenierungsimpetus etwas in Panzernachbildungen oder Uniformpomp. Auch wenn die Regie in den Details des herrischen Umgangs der Besatzer durchhält, erreicht sie in der Personenführung die nötige Stringenz nur noch teilweise.
Doch José Cura bringt so viel Erfahrung mit in die Titelpartie und so viel ungestüme Emotionalität, dass man über die seltsam zweigeteilte Stimme förmlich wegsehen und die Anlaufbewegungen von unten oder offenbar gezielt anderen Betonungen überhören kann: Dieser Otello hat etwas zu sagen.
Schlichtes Finale
Das gilt im selben Mass auch für Thomas Hampsons ersten Jago. Mit der Lautstärke, wie sie Zürichs Kurzzeit-Chefdirigent Daniele Gatti aus dem Orchester peitscht, bekommt er zwar immer wieder Probleme. Eindrücklich aber, wie er die Intrige aus dem Text zu gestalten versteht und noch in den Ausbrüchen der kühle Intrigant ist und nicht der finstere Bösewicht – von Hampsons Auftritten im italienischen Fach der überzeugendste. Dasselbe gilt auch für Fiorenza Cedolins als Otellos Frau Desdemona, die viel Wärme in die Partie zu legen versteht und den Abgesang in seiner Ruhe und Gerichtetheit nach innen zum musikalischen Höhepunkt macht. Das trägt Gatti wie die Dramatik zuvor voll mit. So endet dieser Otello mit der nötigen Konzentration, und anders als vorher unterbricht der Dirigent auch die grossen Bögen nicht mehr.
Der Schluss ist ganz schlicht. Die provokanten Aktualisierungen des Anfangs hat er gar nicht mehr nötig, für den politischen Ansatz reicht es jetzt, Otello im Gewand der Besiegten auftreten zu lassen: Ein neuer Extremismus ist entstanden. Dem Regieteam brachten sie trotzdem einige Buhrufe ein.