Otello leidet im Nahen Osten

Anna Kardos, Tages Anzeiger (22.11.2011)

Otello, 20.10.2011, Zürich

Das Opernhaus Zürich spickt Verdis «Otello» mit Bildern aus der aktuellen Politik. Das geht allerdings nur selten unter die Haut.

Da gehen sie. Die Truppen westlicher Soldaten. Mit grossem Selbstvertrauen, festem christlichem Glauben und einem Paar ebenso fester Militärstiefel, um Frieden und Ordnung in die Welt zu bringen. Auf der Bühne des Opernhauses heisst es: Otello «remixed». Hier schwillt die stolze Brust von Verdis Venezianern unter Nato-Uniformen; statt vor bunten venezianischen Laternen werden Reden vor einem Wald aus Mikrofonen geschwungen und vollautomatische Gewehre in der Luft geschüttelt, wenn man nicht gleich mit dem Panzer vorfährt.

Der britische Regisseur Graham Vick spickt Opernstoffe gerne mit Bildern, die die aktuelle Politik spiegeln. Seine «Aida» in Bregenz war eine Reminiszenz an Guantánamo. Und sein «Otello» spielt nun in einem westlich kontrollierten Gebiet des Nahen Ostens. Auf der Bühne sieht man denn auch eine Szenerie mit Palmen und Maschendraht. Wie ein Mix aus Antiterrorgebiet und Abenteuersafari, in die Paul Brown (Bühne und Kostüme) hin und wieder die Zeichen internationaler Politik platziert. Etwa wenn der Chor zu Kriegsbildern von Raketenangriffen und brennenden Ölfeldern «Fuoco di gioia» singt, untermalt noch mit fröhlichem Pizzicatogetändel des Orchesters, dass es fast nicht zum Aushalten ist. Die Aktualisierung funktioniert - wenn auch meist punktuell.

Den dramaturgischen Faden bilden an diesem Abend vielmehr der Chor und das Orchester der Oper Zürich. Auch wenn er es mit der technischen Genauigkeit nicht immer so streng sieht, lässt Dirigent Daniele Gatti die musikalischen Konturen umso schärfer zeichnen und die Bläser wie unheilvolle Fanfaren hervortreten. Das betont zusätzlich den bitteren Unterton in dieser vielleicht einzigen Oper Verdis, in der man das tragische Ende noch in der süssesten Arie zu hören meint.

Statt Otello als traditionellen Theatermohren auftreten zu lassen, beschmiert sich bei Vick gleich das versammelte venezianische Volk mit schwarzer Farbe. Unter ihnen Otello, umjubelter Statthalter und Befehlshaber Venedigs, dessen menschlicher Makel bei Verdi ist, als Einziger wirklich ein Schwarzer zu sein. Und so stark dieser Otello wirkt, wenn er mit bulliger Militäruniform und testosterongetränkter Gestik über die Bühne stolziert; so schmal ist der Grat, auf dem er in höchster Höhe wandelt. In seiner dunklen Hautfarbe ist nämlich der Keim für Otellos Selbstzweifel schon angelegt. Das macht der Tenor José Cura von Anfang an deutlich. Fernab von strahlendem Heldentenor hievt er seine Töne aus sich heraus. Jede Note ein Kraftakt und jede Phrase voller ausgestalteter Bedeutung.

Der vollkommene Bösewicht

Leichter macht es sich da Thomas Hampson in der Rolle von Otellos Gegenspieler Jago. Mit der glatten Eleganz eines vollkommenen Bösewichts singt er von seiner Verderbtheit; sonor und selbstverständlich, als schmeckten seine Phrasen nicht nach Gift und Galle, sondern vielmehr nach einem guten Whiskey. Und genauso selbstverständlich spinnt er als Jago an der Intrige, die Otello glauben macht, Desdemona betrüge ihn. Da der Bösewicht in dieser Oper der eigentliche Strippenzieher ist, wollte Verdi eine Zeit lang sogar seine ganze Oper «Jago» nennen.

Hier auf der Bühne des Opernhauses könnte das Werk glatt «Desdemona» heissen. Denn hier ist es die Sopranistin Fiorenza Cedolins, die die Spielachse prägt. Sie schafft es stimmlich, bewusste Gestaltung mit sonorem Klang zu verbinden. Ihr Sopran ist zart, aber tragend, die Melodieführung bewusst und elegant. Und wandelbar, wie sie ist, beherrscht sie das Spiel der hingebungsvollen Liebe genauso wie den bewusst eingesetzten Kleinmädchencharme. Als Otellos Frau, seine Prinzessin, kurz: sein Alles, ist sie zunächst mehr Objekt als Subjekt. Doch im letzten Akt sind es ihre Arien, die die Handlung von aussen nach innen stülpen. Wenn die politischen Bilder wegfallen und sich die grosse Oper zu einem Kammerstück verdichtet. Denn ob politisch oder privat, Otellos Glück währt nur kurz. So bühnenwirksam die Angst der «Venezianer» geschürt wird - mit Persiflagen von SVP-Plakaten wird da vor feindlichen «Sarazenen» und «Muselmanen», vor Terroristen und dem Islam, gewarnt - so sehr frisst sich der Keim des Misstrauens - gesät von Jago - auch in das Herz von Otello.Da steht er nun. Der schwarze Befehlshaber. Eben noch der edle Wilde, ist er nunmehr nur noch wild. Sein Vertrauen gebrochen, sein Selbstbewusstsein bis ins Mark getroffen, will er Ordnung in seine Welt bringen. Und Frieden für die geplagte Seele. Mit Gewalt. Deshalb erwürgt er die unschuldige Desdemona. Und bringt sich, als er ihre Unschuld erfährt, über ihrem toten Körper um. Allein, weshalb er das ausgerechnet in muslimischer Tracht tut, wollte sich einem bis zuletzt nicht recht erschliessen.