Otellos kuriose Sternenkunde

Herbert Büttiker, Der Landbote (22.10.2011)

Otello, 20.10.2011, Zürich

Packendes Personenspiel diffus in eine politische Gegenwart eingebettet, zeigt die Neuinszenierung von Verdis «Otello» im Opernhaus.

Von der Hölle eines Sturms zu den sphärischen Klängen des Liebesduetts führt der erste Akt von Giuseppe Verdis «Otello», dazwischen Siegesjubel, Tanz, Trinkgelage, das im Tumult endet – über die Partitur, die mit unerhörter Präzision die Regie eines Intrigen- und Eifersuchtsdramas führt, die Figuren durchleuchtet und zu den Grundfragen des Menschseins führt, gibt es unendlich viel zu sagen und ist schon unendlich viel gesagt worden, und immer bleibt das Fazit, dass die 1887 an der Mailänder Scala uraufgeführte Shake-speare-Oper ein unübertroffenes Meisterwerk ist.

Statt hier weiter auszuholen, kann auch gesagt werden: hingehen und hören. Denn was die Neuproduktion im Opernhaus auszeichnet, ist die dichte musikalische Gestaltung unter der Leitung des Chefdirigenten Daniele Gatti, ein Orchester, das Spannungsverläufe und Klangfarben unerhört kon­zen­triert zur Wirkung bringt, die Chöre, die mit präzisem Einsatz beeindrucken.

Profilierte Solisten

Hinzu kommt ein Solistenensemble, das sich den immensen Herausforderungen gewachsen zeigt, auch wenn sich im dramatischen Druck deklamatorische Prä­gnanz und klare Vokalfarben gern verwischen. Das gilt zumal für José Cura, der sich als erfahrener Otello – er war der Prot­ago­nist auch der letzten Inszenierung im Opernhaus vor zehn Jahren – mit allen Fasern verausgabt und als Figur im Zerfall seines Heldentums zunehmend wächst.

Thomas Hampson, der als Jago debütiert, bewegt sich souverän in dieser schillernden Partie, überlädt sie aber noch zu sehr mit sängerischem Gebaren. Schön trifft Fiorenza Cedolins die mit musikalischem Silberstift gezeichnete Partie der Desdemona mit ihrem Anmut und Reife verbindenden So-pran, der die Figur in ihrer Arg- und Ahnungslosigkeit glaubhaft und berührend macht.

Schade, dass sie einer Regieübertreibung folgend Stimme und Spiel im Weide-Lied und Gebet des vierten Aktes ins Kindische verkünstelt.

Hochzeitskleid an Kranhaken

Die Figur wird da richtiggehend ausgestellt auf der leeren Bühne. Einziges Requisit ist der grosse Sack mit dem Hochzeitskleid, den Emilia an den Kranhaken hängen kann. Der wird eigens dafür heruntergelassen, aber kein Bett nirgends, und so wartet Desdemona stehend auf Otello.

In den vorangehenden Akten ist der Bühnenraum, der von schwarzen Wänden umgeben und mit Holzparkett belegt ist, durchaus möbliert: Sogar ein Panzer wird in der Trinkszene an die Theke gefahren, und auf dem Holzboden spriessen auch mal Palmen. Paul Brown (Bühne und Kostüme) und Graham Vick (Inszenierung) assoziieren die Geschichte der Venezianischen Herrschaft auf Zypern mit Bildern der Gegenwart: eine (amerikanische) Besatzungsmacht und ihr kriegsbemalter Kommandant (mit Migrationshintergrund) in einem islamischen Land.

Zusammenhang fehlt

Eine kohärente Geschichte aber ergibt sich damit nicht. Die Eröffnungsszene mit Menschen, die sich mit schwarzer Farbe (Öl?!) beschmieren oder sich davon zu reinigen versuchen, bleibt der Sturmszenerie alles schuldig. Otellos Sternenkunde mit den Plejaden als türkischem Halbmond oder die SVP-Schaf- und Minarettplakate im Kopftuch- und Palmenland verwundern ebenso wie die Idee, dass Jago sein nihilistisches Credo – nicht gerade ein ideologischer Aufputz von «westlichen Werten» – den einheimischen Kindern vordoziert.

Ihre plausiblen und packenden Momente hat die Inszenierung im engeren Bereich des Intrigen- und Eifersuchtsdramas, und mit den Prot­ago­nis­ten sind hier weitere Solisten profiliert am Werk: Judith Schmid als Emilia, Stefan Pop als Cassio, Benjamin Bernheim als Roderigo und Pavel Daniluk als Lodovico.

Auch sie sind wichtig im Konzert der Stimmen und im Musikdrama, deren Verbindung «Otello» in Vollendung repräsentiert, in welcher szenischen Bebilderung auch immer.