Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (22.10.2011)
Oper Giuseppe Verdis «Otello» am Opernhaus Zürich ist grossartig, sorgt aber auch für Empörung
«Heute gehe ich nach der Pause heim!», sagt der nette Herr im Foyer, und auf unseren verwunderten Blick entgegnet er: «Haben Sie denn die Bilder nicht gesehen!?» Wenns weiter nichts ist, denken wir gelassen, und hoffen nach dem grossen Finale für ihn, dass er geblieben ist.
Die «Bilder» sind modern. Doch der britische Regisseur Graham Vick treibt sich schon zu lange auf den grossen Weltbühnen herum, als dass er ein grübelnder Störenfried der Opernpartys wäre. Gewiss, er eckt hier und dort mal mit einem Element an, aber in der Lesart der Dramen bleibt er oft konventionell.
In Zürich aber gelingt ihm in Giuseppe Verdis «Otello» eine kühne Charakterisierung der Protagonisten, aber erntet wegen harmloser Abweichung vom Gewohnten dennoch heftige Buhs. Nachdem das zweite an die SVP erinnernde Plakat aufgerollt wurde, knallte gar eine Türe. Unklar blieb, ob diesem Gast das Bild mit dem von Raketen bzw. Minaretttürmen übersäten venezianischen Löwen zuwider oder ihn die Ironisierung «seines» SVP-Plakates störte?
Aktuelle Modernisierung
Es ist ein Lärm um nichts. Man denke sich diese zwei – für einen Briten recht treffsicheren – Provokationen mal weg und schaue dann, was entsteht, wenn der Vorhang hoch geht. Ganz hinten steht ein Minarett, der Ausgangspunkt von Otellos Reise. Otello, ein ehemaliger Muslim, steht in kriegerischen Diensten der katholischen Kirche Venedigs. Diesen Kämpfer will Vick zum Schlächter hochstilisieren, sein Mord an seiner geliebten Desdemona zum Schluss als kaltblütige Tat eines Berufskillers sehen.
Auch deswegen buht noch keiner. Störender war offenbar, dass dieser «Otello» in der Gegenwart steckt – und bestens dorthin passt! Der Schauplatz Zypern ist umkämpft: Panzer, Jagdflieger und Stacheldraht prägen die Szene. Die Welt draussen soll aber ein schönes Bild sehen. So präsentiert sich das Herrscherpaar im 3.Akt herausgeputzt vor der TV-Kamera. Ein alter Dreh, gewiss, doch wurde gerade diese Szene vom aktuellen Weltgeschehen in Libyen eingeholt. Die lächelnde Fassade des Herrscherpaares passt für die Tagesschau, doch kaum ist die Kamera ab, kommt es zwischen Otello und Desdemona zum Eklat. Die Eifersucht macht den «Mohr von Venedig» zum Mörder.
Auch wenn Graham Vick bei der folgenden Massenszene wenig einfällt, triumphiert sein Konzept dank zwei einzigartigen Charakterdarstellern: José Cura (Otello) und Thomas Hampson (Jago). Cura mag zu Beginn unsauber singen, mit Registerbrüchen negativ auffallen und Erwartungshaltungen mit Mätzchen entgegnen (er durchsaust das «Esultate», unterschlägt die berüchtigten «Sangue»-Schreie). Aber er durchdringt seine Rolle bis ins Detail. Und wie er mit bebendem Ton das Finale singt, macht ihm heute keiner so schnell nach. Cura hat es nicht nötig, einen Sympathieträger zu mimen. Er ist das Gegenteil von jenem schönen Domingo-Zeffirelli-Otello, der die Masse hypnotisch lenken konnte. Cura fährt im 1. Akt im Panzer vor und ruft «Nieder mit den Säbeln!»
Der 56-jährige Zürcher Publikumsliebling Thomas Hampson, so kritisiert sein heller Bariton in Verdis Heimat noch immer ist, legt ein geniales Rollendebüt hin. Die Wortdeutlichkeit ist keine Manie, sondern wird hier Charakterzug. Mimik und Regung sind bis ins Detail einstudiert: Alle Handlungsfäden scheinen in seine Finger zu führen: Keiner lächelt charmanter, keiner schaut grimmiger. Auch stimmlich reizt er eine Palette von Dynamik und Farben aus, von denen andere nur träumen können. Fiorenza Cedolins kann da als Desdemona nicht ganz mithalten, aber es reicht allemal für eine gute Leistung.
Kaum Jubel für den Chefdirigenten
Chefdirigent Daniele Gatti dirigiert einen grossen «Otello», was gar nicht so leicht ist. Da gibt es zwar die aufschäumenden Passagen, wo das Orchester brillieren kann, aber oft ist man am Kommentieren, quasi am Lauschen, was auf der Bühne passiert. Gatti findet Zugang zu beidem, weiss immer wieder, packende Akzente und kluge «Kommentare» zu setzen. Viel Jubel erntet er dafür nicht. Die Zürcher, sie lieben nun mal ihren Nello Santi, haben offenbar nicht nur Bilder im Kopf, wie ein «Otello», sondern auch wie ein Maestro dirigieren und aussehen soll.