Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (12.12.2011)
Die Reihe der bemerkenswert gelungenen Premieren in Alexander Pereiras letzter Amtszeit am Opernhaus Zürich geht weiter: Am Samstag inszenierte Jens-Daniel Herzog mit leichter Hand die sperrige Künstleroper «Palestrina» von Hans Pfitzner.
Die Bühne vermochte am Samstag beim Schlussapplaus die Heerscharen der Solisten kaum zu fassen, die Hans Pfitzners 1917 uraufgeführte Oper «Palestrina» verlangt. Vor allem unter den Männern kam vom Ensemble des Zürcher Opernhauses wahrscheinlich jeder zum Zug für die turbulenten Diskussionen des Tridentiner Konzils, die der zweite Akt schildert. Allerdings hat sich Pfitzner auch nicht die geringste Mühe zu ökonomischen Tugenden gegeben, nicht beim Personal, und schon gar nicht bei der Ausgestaltung der Geschichte. Wenn Komponisten ihre eigenen Libretti schreiben, neigen sie offenbar zum Ausufern. Das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit von Pfitzner mit Richard Wagner, es verbindet die beiden neben einer recht ähnlichen musikalischen Ästhetik auch ihr Antisemitismus, der im Falle Pfitzners bedenkliche Ausmasse angenommen hat.
Wagners Opern stehen die menschlichen Schwächen ihres Urhebers nur selten im Weg, bei Pfitzner jedoch wirken sie bis heute nach. Allerdings gibt es auch unvoreingenommen musikalische Gründe, dass «Palestrina» und Pfitzners Werk generell einen nicht ganz leichten Stand im Musikleben haben. Die Brillanz der Instrumentierung eines Richard Strauss, die glühende Dramatik eines Erich Wolfgang Korngold oder Franz Schreker gehen Pfitzner weitgehend ab. Was seinen «Palestrina» aber hauptsächlich zu einer zähen Angelegenheit macht, ist die gedehnte Sperrigkeit der Dialoge.
Im Schatten grosser Kollegen
Andererseits hat Pfitzners Musik auch etliche Stärken. Umwerfend etwa, wie er Richard Strauss persifliert, gekonnt, wie er archaisierende Elemente einfliessen lässt, ohne einfach zu zitieren. Unter dem analytisch geschulten Blick Ingo Metzmachers kam die Partitur insgesamt sehr schön zum Tragen. Er versuchte, möglichst die Tempi zu halten und Zug ins musikalische Geschehen zu bringen und modellierte die reichen Orchesterfarben und oft interessanten harmonischen Abläufe aussagekräftig heraus. Auch die Melodie- und Gesangslinien Pfitzners sind oft originell und abwechslungsreich, was den Orchestersolisten und den Sängern manche dankbare Aufgabe bietet. Roberto Saccà in der Titelrolle war der Partie bis auf wenige etwas forcierte Spitzentöne gewachsen. Im wie immer soliden Zürcher Ensemble verdienten sich daneben Judith Schmid, Rudolf Schasching und Martin Gantner überdurchschnittliche Noten.
Die Inszenierung von Jens-Daniel Herzog, dem Mathis Neidhardt eine detailreiche Drehbühne baute, macht aus dieser schwierigen Oper das denkbar Beste: Er nimmt sie nicht ernst. Palestrina ist bei Herzog ein gescheiterter Musiker unserer Tage. Seine Frau ist gestorben, sein letzter Schüler läuft den neueren Strömungen in der Musik nach, übrig bleibt nur sein Sohn Ighino und sein Freund Kardinal Borromeo, der bei ihm eine Messe bestellen will. Aber Palestrina ist nicht in der Lage, zu komponieren. Stattdessen träumt er sich seine Frau herbei, beschwört die Geister verblichener Komponistengrössen, die – sehr hübsch – alle alter egos von ihm selber sind und ihn schliesslich doch inspirieren zum Komponieren der grossen Messe.
Im zweiten Akt geht der Traum weiter: Palestrina träumt sich ins Tridentiner Konzil, womit die streitenden Kleriker wie Heuschrecken über seine Wohnung herfallen, sein Wohnzimmer zum Schlachtfeld – erst der Worte, dann der Fäuste, schliesslich der Waffen – machen, seinen Kühlschrank plündern, Bett, Dusche und Klo blockieren. Und am Ende, erwacht aus dem Albtraum, geht der Horror weiter. Die Messe, mit der Palestrina (zumindest der Legende nach) die mehrstimmige Kirchenmusik vor dem Bildersturm der Puristen gerettet haben soll, ist unter Herzogs Händen mitnichten ein Erfolg geworden: Alles wird bloss arrangiert von Ighino, bis hin zur Faschingsklamotte des Papstbesuchs.
Treffsichere Karikatur
Diese Szenen inszeniert Herzog mit viel Lust an der Karikatur, sehr genau, ideenreich und handwerklich gekonnt. Die Klerikerversammlung und ihre Intrigen und Streitereien sind natürlich ein gefundenes Fressen, aber auch die billige Show Ighinos gibt einiges her, womit die zähe Oper Pfitzners im zweiten und dritten Akt amüsant aufgelockert wird.