Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (24.01.2012)
Oper Sängerisch hochklassig, musikalisch oft laut, szenisch genau, aber uninspiriert: Richard Wagners Meistersinger von Nürnberg am Opernhaus Zürich.
Als wär's ein Bild von Caspar David Friedrich drehen die neuen «Meistersinger» im Opernhaus Zürich drei Akte lang in einer russgeschwärzten gotischen Ruine. Im Hintergrund wird aufgebaut: Wo im ersten Akt eine zerstörte Stadtsilhouette zu sehen ist, stehen im zweiten Baukräne und im dritten Wolkenkratzer. Vorne aber bleibt's beim alten, irgendwo in den 1950er-Jahren vielleicht (Bühne: Hans Schavernoch). Man braucht den einzelnen in Festaufzug geschmuggelten SS-Mann oder den Rasenteppich in Form eines halben Hakenkreuzes gar nicht zu beachten: In der Inszenierung des Altmeisters Harry Kupfer bleibt trotz Ritter Walther von Stolzing, der die restaurative Gilde der Meistersinger mit seinem ihre Regeln brechenden Gesang überzeugt hat, alles beim alten. Stolzing wird integriert, ohne dass sich die Regeln der bessern Gesellschaft ändern würden. Im penetrant strahlenden C-Dur-Heil-Chor des Finales ist zwar das Liebespaar vereint, aber in der Frage nach der Rolle der Kunst, der Bedeutung der Tradition und der Innovation, ist die Nürnberger Gesellschaft nicht weiter als sechs Stunden zuvor bei den zackigen ersten Takten des Vorspiels.
Die Balance stimmt nicht
Dieses allerdings wackelte ganz bedenklich – denkwürdig, bei einem so bekannten und exponierten Stück. Auch später stimmt die Balance oft nicht, ist das Orchester rhythmisch nicht immer sattelfest. Und weil Dirigent Daniele Gatti im Opernhaus-Magazin betont hat, wie er die Meistersinger frisch, rasch und leichter versteht, irritiert seine Lautstärke, auch wenn der zweite Akt duftiger gerät und im dritten lange der Text vor der Musik zu kommen scheint. Doch der Schluss gleisst wieder mit vollster Kraft.
Sänger müssen forcieren
Ist das inhaltlich resignativ oder einfach wenig inspiriert, quasi stehengeblieben in den romantischen Ruinen? Die Auf- und Abtritte wirken selten motiviert, die Massenszenen geraten bei allen Details brav. Immerhin werden die vielen Dialogszenen dank toller Sängerdarsteller spannend, weil die Figuren darin menschlich gezeigt werden. Am wenigsten gilt das für Martin Gantners stimmlich imposanten, metallischen Beckmesser, weil er der Figur zwar schneidendes musikalisches Profil gibt, diese Figur des streng auf die alten Regeln pochenden, verklemmten Konservativen aber gar trottelig darstellt.
Die Besetzung des Liebespaares Eva und Walther mit Juliane Banse und Roberto Sacca könnte wunderbar aufgehen: frische, klare Stimmen intensiver Darsteller. Auch hörbar aber, wie sehr die beiden forcieren müssen, um gegen das Orchester bestehen zu können. Sacca flüchtet sich in strahlendes Forte, Banse kippt in säuerlich klingende Höhe und versang sich im Quintett arg. Auch Michael Volle, der sich zum ersten Mal an die Monsterpartie des Hans Sachs machte, zollte der Lautstärke am Schluss Tribut. Doch sein Sachs ist vokal und textlich perfekt ausgearbeitet und bis in die Details der Darstellung ausgefüllt: ein grossartiges Rollenporträt. Das grosse Ensemble um die Hauptpartien funktioniert tadellos. Trotzdem verlässt man das Opernhaus etwas ratlos.