Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (24.01.2012)
Richard Wagners «Meistersinger von Nürnberg» ernten in Zürich nach fast sechs Stunden viel Jubel
Zum Schluss sind alle auf der Bühne sauer, obwohl sie Richard Wagner doch so schön jubeln lässt. Es gäbe nämlich auch nach 5¾ Stunden Grund zur Freude, hat sich doch die Liebesgeschichte zum Happy End geneigt.
Walther von Stolzing hat mit seinem modernen Gesang, am Vortag von den Meistersingern noch verspottet, verblüfft. Keine Frage, wer den Wettkampfpreis – Eva, die Tochter des reichen Meistersingers Pogner – erhalten wird! Doch der Neo-Meistersinger will zwar Eva, auf die spiessigen Meister-Würden kann er allerdings gern verzich- ten. Das verärgert seinen Förderer Hans Sachs zutiefst – und in der lange eher sanften Sichtweise von Regisseur Harry Kupfer auch nachhaltig.
Eine Regie, leicht wie Fliederduft
Selbst Sachs’ berühmt-berüchtigter Deutschland preisender Schlussmonolog «Verachtet mir die Meister nicht» klingt bitterböse bis zum Schluss. Zum Feiern ist diesem Sachs nicht mehr zumute, er verlässt die vor den Kopf gestossene Johannisfest-Gesellschaft missmutig. Etwas mit der Losung «Ehrt eure deutschen Meister, dann bannt ihr gute Geister» muss gründlich schiefgegangen sein. Mit den Nürnberger Meistersingern ists aus.
Wäre ja auch gelacht gewesen, hätte Kupfer, die bald 77-jährige Regielegende, nicht noch einen im Köcher gehabt. Denn bis zum Finale plätscherte seine Regie über munter und frisch wie ein Bergbächlein vor sich hin. Lange ist alles sehr fein arrangiert und bis zum Fliederduft ausgelotet, die Charaktere dank prächtiger Sängerdarsteller bestens gezeigt. Doch im zweiten Aufzug verliert das flotte Spiel in den unter Renovation stehenden Kirchenruinen – Erneuerung auch hier! – mit den prächtig nach Grossstadt duftenden Horizontbildern (Bühne Hans Schavernoch) an Schwung. Kupfer ist nun mehr Bilderarrangeur und nimmts gar ernst mit dem Humor.
Dann endlich, weit im 3.Aufzug, gehts auf die Wiesn zum grossen Johannisfest, zum Sängerwettstreit: Derweil der Aufzug der Schuster, Bäcker und Schneider zur belachten und tumultuösen Fasnachtsmaskerade wird, zeigt sich die Meistersinger-Zunft bierernst im Smoking. Ganz frisch sind die Herren aber nicht mehr, teils bandagiert, teils am Stock geben sie ein trübes Bild ihrer Zunft.
Meistersinger auf der Bühne
A jour sind dafür die Zürcher Protagonisten, sie verdienen bis in die Nebenrollen die Bezeichnung «Meistersinger». Mit einer Ausnahme. Juliane Banse erwischte entweder einen rabenschwarzen Abend oder mit der Eva die völlig falsche Rolle.
Alle Wagnerianer-Ohren waren umso mehr auf die Rollendebütanten Michael Volle und Roberto Saccà gerichtet. Volle verband als Hans Sachs Spiel und Stimme prächtig, zeigte als Darsteller allerdings einige Nuancen mehr. Saccàs triumphiert als Walther mit einer klugen Kräfteteilung, singt die lyrischen Passagen mit Zartheit, schmettert die Forte mit Bedacht. Martin Gantner ist ein bravouröser Beckmesser, Matti Salminen nach wie vor ein erhabener Pogner.
Dirigent Daniele Gattis Selbstvertrauen scheinen die stillen Jahre in Zürich nichts angetan zu haben, er stellt sich im Programmheft gleich in die Fortsetzung einer Linie mit Legende Arturo Toscanini. Immerhin: Der 1.Aufzug gelingt Gatti und dem Orchester prächtig und vieldeutig: Fein ausgehört, nie dröhnend, die prächtige Stimmenvielfalt betonend. Doch die Begleitung der Szenen im ersten Teil des 3.Aufzugs wirkt unsicherer. Aber zum Finale lässt Gatti das Opernhausorchester und den verstärkten Chor die berüchtigten Jubelverse bekenntnishaft zackig und plakativ singen und spielen, dass einem das Strahlen auf dem Gesicht gefriert. Dem Jubel nach Vorhangfall tats nach einigen Schrecksekunden allerdings keinen Abbruch.