Ein verschattetes Happy End

Herbert Büttiker, Der Landbote (29.05.2012)

Die Entführung aus dem Serail, 26.05.2012, Zürich

Zwar folgt im Juni noch die Festspielpremiere. Aber mit der «Entführung aus dem Serail» wollte sich Alexander Pereira zum Abschied von seiner Zürcher Intendanz ein besonderes Geschenk machen. Es wurde ein Opernfest mit Licht und Schatten.

Zu Mozarts «Entführung aus dem Serail» hat der Noch-Intendant des Opernhauses eine spezifische Beziehung. Der Salzburger schrieb sie 1781/82, eben angekommen in seinem Wiener Exil und in sehr provisorischen Verhältnissen lebend als Untermieter im Haus am Graben 1775 im dritten Stock, und dieses Haus eben gehörte, so ist in der Opernhaus-Zeitschrift zu erfahren, Alexander Pereiras Urururgrossmutter Fanny von Arnstein.

Da die letzte Inszenierung des Werks auch schon wieder zehn Jahre zurückliegt, gibt es gegen diese anekdotische Form von Spielplan-Dramaturgie nichts einzuwenden. Aber geglückt ist sie nicht. Wer an dieser Premiere fehlte, war nämlich der Intendant, und dabei hätte er einiges zu sagen gehabt vor dem Vorhang: nicht nur über seine familiäre Brücke zu Mozart, sondern auch zum Premierenpech, das wieder einmal zugeschlagen hatte. Der Regisseur Adrian Marthaler hat sich bei den Endproben auf der Bühne verletzt und liegt im Spital, und wegen der Absage von Malin Hartelius musste für Kon-stanze Eva Mei kurzfristig einspringen.

Dass der Abend aber nicht in trübe Endzeitstimmung verfloss, sondern im frischen Elan von Mozarts Geist und Musik, dafür war dann doch gesorgt – vom Komponisten selber und seiner in die Tiefe lotenden wie übermütig sich versprühenden Ideenfülle, dann in vieler Hinsicht auch von den Interpreten, vom Dirigenten des Abends zumal. Restlos überzeugend war, wie Adam Fischer mit dem Orchester der Oper das türkische Brimborium der Partitur ausreizte, wie er im Kontrast dazu die lyrische Innigkeit zelebrierte und wie er den Enthusiasmus dieser Musik befreite – im zweiten Aktfinale etwa im Taumel der Devise: «Es lebe die Liebe!»

Das Quartett der Stimmen mochte da mithalten, wobei man Michael Laurenz mit seinem trompetenklaren Tenor für die Rolle des Pedrillo zuerst nennen möchte. Auch aufs Ganze gesehen zeigte er eine kernige Figur von starker Bühnenpräsenz. Rebeca Olvera gab mit wenn auch gar feinem Sopran köstlich die durchaus rabiate Blonde. Einen stimmlich nicht eben souveränen Eindruck machte Eva Mei, die sich als Einspringerin für die exorbitante Partie der Konstanze ja auch eine Gratwanderung zumutete. Was sie im Lyrischen an freier stimmlicher Entfaltung und Farbigkeit vermissen liess, konnte sie mit dem prägnanten Laufwerk der «Martern-Arie» immerhin teilweise wettmachen. Strömender, mit beseeltem Glanz gestaltete Javier Camarena Belmontes Kantilenen, und mit steigerungsfähigem Tenor gab er der Arie «Ich baue ganz auf deine Stärke» im dritten Akt packendes Format. Dass der Gesang von der etwas schmuddeligen Bühnenfigur konterkariert wird, steht auf einem anderen Blatt.

Der Wechsel der Gefühle

An einem von Müll übersäten Strand liegt dieser Belmonte zu Beginn und scheint mehr mit sich selbst beschäftigt als mit seinem Vorhaben, die Geliebte zu entführen, und auch am Treffpunkt, wo er auf sie wartet, hat der Narziss viel Zeit, in die Spiegel zu schauen, die an der Galeriewand hängen. Problematisch ist die Psychologisierung auch im Fall von Konstanze, die zur «Martern-Arie» mit Bassa Selim Zärtlichkeiten tauscht – ein komplettes Missverständnis ihres Wortes vom «Wechsel der Gefühle», das den Umschlag vom einstigen Glück zum jetzigen Unglück meint und nicht Zwiespalt.

Zwischen dem Strand- und dem Galeriebild hat Jörg Zielinski für den Mittelakt eine verschachtelte Zinne als attraktives Terrain für das Beziehungsspiel gebaut. Marthaler nutzt es mit Witz, einzig dass er in die Regiefalle tappt, die ihm der Bühnenbildner in Form einer Badewanne hingestellt hat. Aber ihr Bestes zeigt die Inszenierung ohnehin im dritten Akt, wo sie Bassa Selim zur tragisch grossen Figur werden lässt – berührend Michael Maertens in seiner Rolle ohne Musik, in die er viele Töne legt. Auch Osmin, der zweite Verlierer, wird da nobilitiert. Alfred Muff zeigt ihn von Anfang an nicht als Lachnummer, sondern als Charakter, frustriert, böse halt, aber am Ende zum Erbarmen. Das Schicksal meint es ebenso wenig gut mit ihm wie mit seinem Chef, der die Bilder seiner Galerie mit schwarzen Tüchern behängt – ein ergreifend verschattetes Happy End.