Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (11.04.2006)
Das Zürcher Opernhaus präsentiert Giacomo Puccinis «Turandot»: sehr laut und ziemlich zynisch.
«Welches Eis vermag dich zu entflammen?» Die Antwort auf die Frage («Turandooooot!») weiss nur Google, jedenfalls in der Zürcher Aufführung von Puccinis letzter Oper, wo Prinz Calaf die Rätsel der grausamen Prinzessin per Laptop löst. Das beschert ihm einerseits Turandots Gunst (von Liebe mag man in diesem Macht-Stück nicht sprechen), andererseits einen wohl eher nicht intendierten Heiterkeitserfolg beim Publikum. Der Clash der Zeiten, den Regisseur Giancarlo del Monaco und sein Ausstatter Peter Sykora hier auf die Bühne bringen, hat seine Tücken.
Da gibt es auf der einen Seite die streng ritualisierte Welt eines archaischen China, in der ein Turandot-Verehrer nach dem anderen geköpft wird, in der die Figuren dicke weisse Schminke tragen und eigenartige Handbewegungen machen. Und es gibt auf der anderen Seite das wandelnde Prolo-Klischee Calaf, mit Lederjacke, Sonnenbrille und einer Zigarette, die er auf dem Boden des Jadepalasts austritt. Es ist ein imposanter Palast, wie überhaupt alles imposant ist in dieser Aufführung, die als Koproduktion mit dem Shanghai Opera House entstanden ist: Die üppigen und wirklich schönen Kostüme, die in Shanghai genäht worden sind; die grauen Chormassen, die immer wieder aus dem Untergrund auf eine Tribüne klettern; das makroskopisch überzeichnete Zittern des alten Timur.
Sinfonische Soundkeule
Die Musik mag da nicht zurückstehen. Laut lässt der amerikanische Dirigent Alan Gilbert das Orchester der Oper spielen, sehr laut und sehr effekthascherisch. Für Details wie präzises Zusammenspiel oder Koordination mit der Bühne bleibt da nicht viel Energie übrig. Die erste Szene mit den Ministern Ping, Pang und Pong etwa wurde bei der Premiere am Sonntag gründlich versiebt, und die Chinoiserien, die Puccini ausgiebig und auf Grund durchaus subtiler Klangvorstellungen eingestreut hat, wurden mit der sinfonischen Soundkeule geradezu erschlagen.
Da erstaunt es kaum, dass Gilbert für den unvollendet gebliebenen Schluss der Oper auf Franco Alfanos hochpathetische, zwar gängige, aber oft kritisierte Vervollständigung von 1926 zurückgreift. Die differenzierte Brüchigkeit von Luciano Berios 2002 komponierter Ergänzung hätte zu seinem Klangideal ebenso wenig gepasst wie der frenetische Premierenapplaus zur Qualität der Aufführung.
Champagner fürs Powercouple
Denn auch den Sängerinnen und in Sängern kann man nach dieser Premiere fast nur zu ihrer Phonstärke gratulieren. José Cura setzte als Calaf ganz auf tenorale Kraftmeierei und nahm dabei das belcantistische Von-irgendwoher-Ansingen der Töne ebenso in Kauf wie die massive Umfärbung der Vokale («silanzio»). Paoletta Marrocu, die man auf dieser Bühne schon wirklich grossartig hat singen hören, hatte ebenfalls nicht ihren besten Abend; die Intonation in der Höhe war prekär, und nicht alles, womit sie ihren klaren Sopran rollengemass verhärtete, klang nach Edelmetall.
Einfacher hatte es da Elena Mosuc als Sklavin Liù, die dank der (etwas) intimeren Begleitung nicht nur trompeten musste, sondern auch lyrischere, ruhigere Töne anschlagen konnte. Auch der von Jürg Hämmerli wie immer einwandfrei vorbereitete Opernhauschor versuchte sich zwischen den stahlharten Aufrufen zum Weitermorden zuweilen im Pianissimo; es klang schön, wenn man etwas davon hörte.
Liùs Selbstmord im 3. Akt sorgte dann kurz für Erschütterung: Dass da eine für die Liebe ihr Leben lässt, ist doch eine rührende Episode. Aber sie ist schnell vergessen, Giancarlo del Monaco lässt sich das Happyend, dem schon viele Regisseure zu Recht misstraut haben, nicht vermiesen. So bringt Calaf die eisige Turandot mit dem zum Schmelzen, was man wohl unter Latin-Lover-Sinnlichkeit verstehen müsste; die Jadewände verschwinden und geben den Blick frei auf die nächtliche Skyline des heutigen Peking.
Auch vorne auf der Bühne, wo das Powercouple seine «Liebe» zelebriert, ist man in der Gegenwart angekommen. Das Tischtuch ist weiss, Turandots Abendkleid rot, die Kerze brennt, der Champagner steht kühl, und Ping, Pang und Pong, nun mit Kochmütze und Kellnerfrack, fragen nach den kulinarischen Gelüsten des aparten Paars. Calaf trinkt auch dem Publikum zu. Prost.