Tobias Gerosa, Basler Zeitung (30.05.2012)
Musikalisch ein Genuss, szenisch unklar: Mozarts «Entführung» am Opernhaus Zürich
Opernpremieren plant man Jahre im Voraus. Wenn ein vorgesehener Regisseur zwei Monate vor der Premiere von Mozarts «Entführung aus dem Serail» verstirbt, wirds schon aus technischen Gründen sehr knapp. Wenn dann noch eine Woche vor der Premiere der eingesprungene Regisseur mit gebrochenem Bein ins Spital muss und die vorgesehene Sängerin der Konstanze ihre Partie zwischen Haupt- und Generalprobe zurückgibt, wirds doppelt und dreifach schwierig.
Als Ersatz für den verstorbenen Thomas Langhoff sprang Adrian Marthaler ein, der langjährige Fernsehregisseur. Viel ist ihm zu Mozarts Singspiel nicht eingefallen. Belmonte, der auf der Suche nach seiner entführten Konstanze ins Morgenland kommt, wird hier am Hafen angeschwemmt.
Der zweite Akt spielt – nach zwei Arien in einer Harmoniefassung während des Umbaus – auf den Dachterrassen des Palasts von Bassa Selim. Wenn Konstanze ihre Traurigkeit besingt, steigt sie in die Jadebadewanne und wieder hinaus. Den dritten Akt schliesslich, in dem die Flucht entdeckt und der Bassa sich als aufgeklärter erweist als die Europäer, verlegt Bühnenbildner Jörg Zielinski in ein modernes Museum, in dem statt Bildern Spiegel hängen: alles nur Narzissmus?
Eva Mei, die andere Einspringerin, singt im ersten Akt so vorsichtig, wie sie über die Steine der Hafenmole klettert. Misst man sie an ihren beiden grossen Arien im zweiten Akt und vor allem am Duett am Schluss, gestaltet sie ein bewegende Konstanze: keine Stimmakrobatin, sondern eine Sängerin, die seelische Regungen in Musik zu übersetzen versteht.
Intensive Arbeit am Text
Das spricht am Schluss für die Regie oder wenigstens für ihre Zurückhaltung. Immer wieder gelingen gerade dem hohen Paar und dem äusserlich nonchalanten, innerlich bebenden Michael Maertens in der Sprechrolle des Bassa intime Momente, in welchen Musik und Darstellung zur Deckung kommen, weil die Sänger intensiv auch am Text arbeiten.
Am deutlichsten hörbar ist das bei Javier Camarena. Ironischerweise, weil er am meisten Mühe hat mit Deutsch: Während seine Dialoge radebrechend klingen (er darf teilweise in seine und Belmontes Muttersprache Spanisch wechseln), gestaltet er sängerisch vorbildlich. Weil er das mit perfekten Linien und mühelosen Koloraturen verbinden kann, ist hier ein Mozartsänger von Rang zu entdecken.
Mei und Camarena ziehen mit dem niederen Paar (Rebeca Olvera und Michael Laurenz) am selben interpretatorischen Strick wie Dirigent Adam Fischer. Das Orchester der Oper Zürich, diesmal nicht auf alten Instrumenten, spielt rhetorisch sprechend, federnd und enorm flexibel in den Tempi, mit scharfen Akzenten und betörenden Piani. Das Ereignis dieser Produktion liegt beim Orchester: mehr Theatermusik als Musiktheater.