Das Geschirr sollen doch lieber andere zerschlagen

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (19.06.2012)

Mathis, der Maler, 16.06.2012, Zürich

Mit der Premiere der Oper «Mathis der Maler» von Paul Hindemith ging am Samstag die 21 Jahre währende Ära Intendanz Alexander Pereira zu Ende (vgl. BaZ vom 29. April). Die Stückwahl war alles andere als zufällig: Vor 74 Jahren war dieses Werk am selben Haus, dem damaligen Schauspielhaus, uraufgeführt worden. Das vom Komponisten in einem künstlichen Altdeutsch verfertigte Libretto wirft anhand der Malerfigur Mathias Grünewald die Frage nach der Legitimation von Kunst angesichts einer Welt voller Elend auf – eine Frage, die man unmittelbar an ein Theater richten darf, das viel Geld verschlingt und doch nur relativ wenigen etwas bringt.

Ganz ausräumen kann der Maler Mathis die Zweifel am Sinn seines Tuns nicht – er unterstützt auch aus schlechtem Gewissen die revoltierenden Bauern, obwohl er damit seinen Dienstherrn, den Kardinal Albrecht, in Schwierigkeiten bringt. Und ganz ausräumen kann man in Zürich die Zweifel an diesem gegen Ende langfädigen und musikalisch eher gediegen gearbeiteten als mitreissenden Stück nicht. Immerhin müssen sich Pereira und der als Gastregisseur nach Zürich zurückgekehrte frühere Schauspielhaus-Intendant Matthias Hartmann nicht oberflächliche Effekthascherei vorwerfen lassen.

Hindemiths «Mathis» ist ein gedankenschweres Stück, kein leicht konsumierbarer Opern-Happen, und die Inszenierung stellt sich dieser Künstleroper in aller Ernsthaftigkeit. Hartmann verzichtet sogar auf die naheliegende Verortung des Stoffs im Nationalsozialismus, der zur Entstehungszeit heraufzog, setzt sich durch seine geradezu kreuzbrav werkgetreue Inszenierung gar dem Verdacht aus, er habe nicht noch einmal in Zürich Geschirr zerschlagen wollen.

Wandelbarer Halbkreis

Die Bühne von Johannes Schütz ist in eine Halbkreisform gebracht und birgt ohne grössere Umbauten bald das Atelier des Malers, bald einen Bauernplatz, bald den Odenwald. Es herrscht ein strenges Farbkonzept. Im sechsten der sieben Bilder steht ein Renaissance-Altar auf der Bühne, auf dem sich mit Live-Videoprojektionen die Gesichter der Akteure spiegeln. Ansonsten verzichtet die Regie auf Werkabbildungen des deutschen Malers – «Mathis der Maler» will keine Künstlerdokumentation, sondern ein Künstlerdrama sein.

Mathis ist in der Verkörperung durch den seine Riesenpartie perfekt beherrschenden Bariton Thomas Hampson ganz der in sich gekehrte Künstler, der treu seinem Dienstherrn ergeben ist und auch der Verlockung durch die junge Regina entsagt (Sandra Trattnigg in ihrer bisher grössten, souverän bewältigten Partie). Regina ist die Tochter des Bauernführers Schwalb (hervorragend textverständlich und präsent: Erin Caves). Entsagen muss oder will auch der Kardinal Albrecht (Rainaldo Macias), den die Reformierten mit der Bürgerstochter Ursula (hochdramatisch: Emily Magee) vermählen wollen, der es aber vorzieht, sein Leben dem Glauben in Einsamkeit zu widmen.

Die musikalisch von Daniele Gatti geleitete Zürcher Produktion kann mit markigen, meist präzis geführten Chören, einer hervorragenden Orchesterleistung und zuverlässigen Ensembles punkten. Die Musik klang am Premierenabend so sinnlich und prall, wie der zum Spröden neigende Hanauer Tonkünstler Paul Hindemith sie sich vermutlich in seinen kühnsten Träumen nie vorgestellt hat.