Sperrig-düstere Oper beschliesst die Ära Pereira

Christian Berzins, Neue Luzerner Zeitung (20.06.2012)

Mathis, der Maler, 16.06.2012, Zürich

Mit Hindemiths «Ma­this der Maler» verabschiedet sich Alexander Pereira vom Opernhaus Zürich. Doch im Zentrum steht ein anderer.

Gewiss, die Premiere lief unter der Marke Zürcher Festspiele, und die Parkettpreise durften nochmals bis 320 Franken klettern. Doch deswegen hatte Alexander Pereira nicht die eierschalenfarbene Smokingjacke angezogen. Es galt, ein anderes historisches Ereignis zu begehen: Nach 21 Jahren und gefühlten 1003 Premieren stand die letzte seiner Ära als Intendant am Opernhaus Zürich an. Als er an der Premiere in seine Loge trat, lenkte das Scheinwerferlicht alle Aufmerksamkeit auf den Direktor. Und so dauerte es nur ein Momentchen, bis die Premierengäste dem gerührten Operndirektor zuklatschten, ja zujubelten.

Gestenreich gab der Wiener zu verstehen, dass wir besser nachher den Künstlern zuklatschen sollen. Dieser Aufforderung kam das Publikum am Ende generös nach, selbst die Regie von Matthias Hartmann – ehemaliger Zürcher Schauspielhaus-Chef und heutiger Burgtheaterdirektor – wurde freudig beklatscht. Doch beginnen wir vorne!

Paul Hindemiths sperrige und düstere Oper «Mathis der Maler» stand an. Anstatt eines altbekannten Puccini-Schinkens, einer apérospritzigen Donizetti-Oper oder eines stargetränkten Verdi-Hits, die man doch so sehr mit Pereiras Zürcher Zeit verbindet, gab es nun also zum Finale unpopuläre Opernkost aus dem 20. Jahrhundert. Doch dieser «Mathis der Maler» ist eine von vielen grossen Opern, die einst am Stadttheater Zürich uraufgeführt wurden und umso mehr wieder hierhin gehören, da sie nach dem Krieg in Vergessenheit gerieten – und unverständlicherweise blieben. Die Aufführungen grosser Opern von Korngold, Braunfels, Goldschmidt, Krenek oder Schulhoff blieben europaweit Ausnahmen. Noch 1938 staunte man bei der Uraufführung in Zürich ob «Mathis der Maler», derweil Hindemith in Deutschland längst zum entarteten Künstler verdammt worden war.

Besser malen oder Krieg führen?

Wie Hindemith muss auch der Mathis um seine Kunstausübung und sein Leben fürchten: Wir stecken mitten im 16. Jahrhundert, in der Reformation und in den Bauernkriegen. Nicht Maler, sondern Soldaten werden gebraucht. Mathis weiss gar nicht, auf welche Seite er sich stellen soll. Und schon im ersten Monolog fragt er sich: «Ist, dass du schaffst und bildest, genug?»

Die Tonalität ist vorgegeben. Frauen, ja die Liebe, kommen zwar auch vor, aber mehr als Symbol denn als echte Wesen. Und so ist es nicht einfach, in dieses epische Werk Spannung einzubringen. Typisch die Aussage von Matthias Hartmann: «Bei einer so langen Oper muss man alles tun, damit es nicht langweilig wird.» Er beschränkt sich erst mal aufs schlichte Erzählen auf einer abstrakten, viel Raum schenkenden Bühne (Johannes Schütz).

Hartmann aktualisiert nicht, vertraut der Bühnenpräsenz von Thomas Hamp­son. So ausdrucksstark, wie der Rollendebütant spielt, so, wie er jede Silbe salbungsvoll spricht, so, wie er jedem Wort seine nie geahnte tiefe Bedeutung gibt, erinnert er bisweilen mehr an einen Prediger als an einen Künstler aus Fleisch und Blut. Die heikle sechste Szene, in der Mathis seine Begleiterin mit visionären Erzählungen in den Schlaf wiegt, alsbald selbst von wilden Visionen geplagt, gelingt Hartmann dank kühner Videokunst prächtig. Sowieso gelingt der zweite Teil, vielleicht auch, weil die Musik nicht mehr so nervös drängend ist, viel eindringlicher.

Partitur im ruhigen Fluss

Für diese Musik ist Chefdirigent Daniele Gatti verantwortlich. Er macht viel mit der schweren Partitur, nur eines nicht: sie etwas leichter. Aber er hat den Mut, sie auch einfach bisweilen ruhig fliessen zu lassen, die nächste aufbrausende Szene, in der er mit Zuspitzungen nicht spart, kommt sowieso bald. Neben Mathis/Hampson verblassen die anderen Rollen, selbst die weibliche Titelfigur Emily Magee. Sie verkörpert mit viel Kraft und scharfem Ton die Rolle der Ursula, die ferne, ewige Geliebte von Mathis.

Die letzte Premiere ist vorbei, das Schlussbouquet folgt noch: José Carreras wird genauso wie Placido Domingo noch einmal vergangene Zeiten aufleben lassen, ehe dann Pereira in Verdis «Falstaff» mitmischen und in den Schlusschoral einstimmen wird: «Alles in der Welt ist Spass.» Mathis der Maler würde das nie unterschreiben. Er fragt sich: «Hast du erfüllt, was Gott dir auftrug?»