Ein herausragender «Mathis» lässt eine Ära ausklingen

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (21.06.2012)

Mathis, der Maler, 16.06.2012, Zürich

Zwar war der deutsche Komponist Paul Hindemith (1895– 1963) kein Jude, aber dennoch einer jener Komponisten, die unter der Nazi-Herrschaft litten. Seine Musik galt als «kulturbolschewistisch», die meisten Werke durften nicht aufgeführt werden, was auch die anderen praktisch von den Spielplänen ausschloss. So war Hindemith gezwungen, sich neuen Möglichkeiten zu öffnen: Die Schweiz und die USA wurden zu seinen Refugien. In Zürich konnte er seine grosse Künstleroper «Mathis der Maler», an der er von 1932 bis 1935 gearbeitet hatte, 1938 zur Uraufführung bringen.

Dass das Stück nun im Opernhaus Zürich erneut zu Ehre kommt, ist nur folgerichtig: Schliesslich ist eine Absicht des scheidenden Intendanten Alexander Pereira, Werke, die mit Zürich in Beziehung stehen, im aktuellen Spielplan auf die Bühne zu bringen. Und im Fall von «Mathis der Maler» an prominenter Position: als Glanzlicht der laufenden Zürcher Festspiele und letzte Premiere, bevor Pereira nach Salzburg weiterzieht.

Den Auftrag der Kunst hinterfragt

Hindemith setzt sich im «Mathis» intensiv mit seinem eigenen Künstlertum auseinander. Als Symbolfigur wählte er Matthias Grünewald, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts den berühmten Isenheimer Altar (heute im elsässischen Colmar) gemalt hatte. Es war die Zeit der Bauernkriege, und Mathis kämpfte an ihrer Seite. Die Oper stellt Fragen wie: Muss sich ein Künstler politisch engagieren? Welche gesellschaftliche Verantwortung hat ein Künstler? Welchen Sinn hat Kunst im Umfeld gesellschaftlicher Umbrüche? Am Ende kommt Mathis respektive Hindemith zum Schluss, dass die einzige wahre Aufgabe des Künstlers darin bestehe, möglichst gute Kunst zu schaffen.

Sieben Bilder hat das Künstler drama Hindemiths. Aber in der Neuproduktion in Zürich überzeugten bei der Premiere am Wochenende nur die letzten beiden; das zweitletzte szenisch, das letzte musikalisch. Ein bisschen liegt das auch an der Komposition: Hindemiths Werk hat seine sperrigen Seiten. Aber es lag auch stark an Chefdirigent Daniele Gatti, der Zürich ebenfalls verlässt, dass Hindemiths Tonsprache lange nicht wirklich zum Klingen kam: Erstens war er grundsätzlich viel zu laut und verstand es nicht, die dichten Instrumentierungen Hindemiths zu entflechten. Das ergab einen Orchesterklang, der pauschal und undifferenziert, bisweilen auch platt erschien. Was – zweitens – zur Folge hatte, dass den Sängern kaum etwas anderes übrig blieb, als ebenfalls im permanenten Forte zu singen. Vor allem bei Emily Magee (in der Rolle der Ursula) und Reinaldo Macias (Albrecht) führte das zu sehr gleichförmigen Linien. Etwas mehr dimensionaler gestalteten Erin Caves (Hans Schwalb) und Sandra Trattnigg (Regina) ihre Partien.

Aber wirklich festspielwürdig sang nur einer: Thomas Hampson in der Titelrolle. Wie immer sprachlich hervorragend gestaltend vermochte er die Konturen der Figur herauszu meisseln. Als Einziger schaffte er es, Gatti eine differenzierte Dynamik abzutrotzen, die diesen Namen auch verdient. Am Ende, im sehr nachdenklichen letzten Bild, fand man sich mit Bratschen und Soloflöte sogar im Pianissimo. Und siehe da: Hindemiths Linien entwickelten plötzlich Zugkraft und Intensität.

Enttäuschend inszeniert

Auch die Inszenierung verschenkte grosse Teile der Oper. Matthias Hartmann, ehemaliger Zürcher Schauspielhaus- und aktueller Wiener Burgdirektor, begnügte sich fünf Bilder lang damit, die Sänger an der Rampe stehen zu lassen und ganz sparsam einzelne Gesten herauszustellen, die quasi wie in einem Bilderzyklus die Stationen der Geschichte beleuchteten. Und wenn er für Aktion sorgte, wie im Bild der marodierenden Bauernhorden, wirkten diese Szenen erschreckend hilflos, gerieten bisweilen an den Rand von Parodien.

Erst im zweitletzten Bild, der Vision der Versuchung des Antonius, erhielt die Szenerie Präsenz und suggestive Kraft. Auf einen Altar wurden Bilder des Isenheimer Altars projiziert, die mit live gefilmten Videos der Erscheinungen überlagert wurden.