Sibylle Ehrismann, Zürcher Oberländer (11.04.2006)
Am Zürcher Opernhaus hatte Puccinis letzte Oper «Turandot» Premiere: Aufwändig in Szene gesetzt, im Ganzen gesehen aber unbefriedigend.
Die «Turandot» von Puccini ist eine von der riesigen Besetzung und von den gesangstechnischen Schwierigkeiten her immense Herausforderung. Die Neuproduktion am Opernhaus Zürich unter der musikalischen Leitung von Alan Gilbert und in der Regie von Giancarlo del Monaco ist in mehrerer Hinsicht bedenklich. Diese Co-Produktion mit dem Shanghai Opera House enttäuscht vor allem im Musikalischen. Aber auch szenisch wird eine westliche Arroganz gegenüber einer fernöstlichen Hochkultur ausgespielt, die schon fast skandalöse Züge trägt.
Märchen wie aus 1001 Nacht
Die chinesische Prinzessin Turandot setzt alles daran, nicht heiraten zu müssen. Alle Prinzen-Bewerber zahlten mit ihrem Leben, weil sie die drei Turandot-Rätsel nicht auflösen konnten. Dieser blutrünstige Männerhass hat seinen Ursprung in einer vergewaltigten Urahnin, welche die Prinzessin nun rächt.
Auch um den «Fremden», den verbannten Prinzen Kalaf ist es geschehen. Er verliebt sich beim ersten Anblick unsterblich in die chinesische Schönheit. Er schlägt alle Warnungen in den Wind und opfert sogar die ihm in Liebe treu ergebene Sklavin Liú, die lieber in den Tod geht, als ihn zu verraten. Er weiss die Rätsel zu lösen und vermag schliesslich das Eis im Herzen der Prinzessin zu schmelzen. Es siegt die Liebe.
Puccini wollte es, als er die «Turandot» in Angriff nahm, noch einmal wissen. Ein grosser «Aida»-Stoff sollte her, exotisch und doch repräsentativ. Die Komposition dieser komplexen, modernen und farblich schillernden Partitur war sein letzter Kraftakt - er konnte sie nicht mehr vollenden. Was ihm jedoch in diesem «lyrischen Drama» an musikalischen Zwischenwerten, an kraftvoller und doch märchenhafter Farbgebung gelingt, trägt die Handschrift des erfahrenen Altmeisters.
Die musikalische Leitung der Zürcher «Turandot» liegt in den Händen des asiatisch-amerikanischen Dirigenten Alan Gilbert. Dass er ausgerechnet mit der schwierigen «Turandot» sein Puccini-Debüt gibt, und das erst noch an einem so renommierten Haus, ist erstaunlich genug. Selten hörte man das Opernhausorchester derart grob koordiniert, unsensibel wuchtig und undifferenziert wie an diesem Premierenabend. Auch die dynamischen Zwischenwerte, die bei Puccinis Klangfantasie so wichtig sind, wurden kaum zur Kenntnis genommen. Vielmehr gerieten die leisen innigen Stellen auch noch zu dramaturgischen Absackern. Dieses extravertierte Potenzieren der Lautstärke und die Schärfung des sonst üppigen Puccini-Klangs übertrug sich auch auf die Sängerinnen und Sänger. Alles, auch die Regie, richtete sich ganz auf José Cura aus, den argentinischen Star-Tenor mit gewaltigem Stimmvolumen. Cura trägt als Einziger auf der Bühne moderne Kleidung mit schwarzer Lederjacke, T-Shirt und schwarzen Jeans. Und er spielte den ganzen Abend lang vor allem sich selber aus. Auch der Dirigent liess ihn frei gewähren.
Macho mit Labtop
Curas Kalaf ist ein selbstgefälliger Potenz-Strotzer, der während der kaiserlichen Zeremonie vor den verhängnisvollen Rätseln cool eine Zigarette anzündet und ungeduldig die Hand schwenkt, weil ihm diese Zeremonie zu lange dauert. Die Rätsel löst er ebenso cool, indem er mit seinem Labtop das Internet befragt, und die Minister tut er mit Macho-Gesten ab. So eindimensional, wie er szenisch gezeichnet wird, singt er auch. Grossartig natürlich, voller Kraft, aber ziemlich monochrom.
So lustig diese coole Arroganz gegenüber dem tausendjährigen Kaiserreich im ersten Moment auch sein mag - es spiegelt sich in ihr die kulturlose Arroganz unserer «Labtop-Grössen» gegenüber einer fernöstlichen Kultur.
Der eigentliche Theater-Coup kommt aber erst noch. Im Schlussduett, das Puccini eben nicht mehr komponierte, brechen die kaiserlichen Mauern auseinander und es erhebt sich im Hintergrundprospekt eine moderne Skyline-Stadt, in die Kalaf seine Prinzessin überführt. (Haben nicht erst vor ein paar Jahren Flugzeuge solche protzigen Hochhäuser zerstört?) Und die eroberte Prinzessin wird aus ihrem chinesischen Gewand geschält, wandelt sich zu einem glamouröses Party-Girl und wird zu einem Cüpli-Diner geladen.
Der Chor auf den Knien
Das Schöne an diesem Abend sind die chinesischen Gewänder (Ausstattung Peter Sykora), die bunten üppigen Stoffe in einem arenaartig aufgebauten Kaiserpalast-Gemäuer. Der grosse, möglichst anonym gehaltene Chor taucht jeweils aus dem Untergrund auf und bevölkert auf allen Vieren krabbelnd die Stufen der Arena. Die grauen lumpigen Gewänder stehen in starkem Kontrast zu den farbigen Seidengewändern der Obrigkeit. Erst am Schluss, wenn der Cüpli-Held seinen Macho-Triumph feiert, erscheint der Chor in modernem Gewand, individualisiert und pseudo-frei.
Die musikalischen Anforderungen an den Chor sind gross. Doch auch von ihm wird vor allem Steigerung ins Fortissimo verlangt, es wird zu wenig geatmet und chorisch gemischt, und die Koordination mit dem Orchester stand mehrmals auf Messers Schneide. Am Exponiertesten aber ist die Partie der Turandot, eine der schwierigsten Sopranpartien überhaupt. Paoletta Marrocu verfügt zwar über eine interessante, aber etwas zu leichte Stimme für diese Partie. Sie gab in ihrem Rollendebut alles, vor allem in der Lautstärke, und intonierte anfangs in der hohen Lage kaum einen Ton richtig. Sie konnte sich im zweiten Teil des Abends zwar etwas fangen, blieb aber zu eindimensional im Ausdruck.
Um so dankbarer war man Elena Mosuc in der Rolle der Sklavin Liú. Natürlich hat ihr Puccini auch die lyrisch innigen Melodien zugeschrieben. Doch was Mosuc dabei bis in die feinsten Nuancen hinein gestalterisch an den Tag legte, war umwerfend. Auch das komische Minister-Trio Ping, Pang und Pong vermochte sängerisch zwar eine Spielfreudigkeit durchschimmern zu lassen; szenisch aber wurden die drei eher einfallslos geführt. Verbleiben noch Pavel Daniluk als stimmlich eher «blasser» Timur, und Miroslav Christoff als überraschend inniger Kaiser Altoum.