Das Dorf als Regielaboratorium

Herbert Büttiker, Der Landbote (15.09.2012)

Kátja Kabanová, 13.09.2012, Basel

Mit der Oper «Katja Kabanova» eröffnete das Theater Basel seine Spielzeit – szenisch kein grosser Wurf.

Mit «Jenufa» eröffnet am kommenden Wochenende das Opernhaus Zürich seine Saison. Basel ging am Donnerstag voraus mit Leos Janáceks zweiter Oper, die den Namen der weiblichen Hauptfigur im Titel trägt: «Katja Kabanova», uraufgeführt 1921 in Brünn. Gemeinsam ist beiden der Blick in einen Natur- und Lebensraum, den der mährische Komponist spannungsgeladen als Sehnsuchtsraum und als Ort lebensfeindlich-obskurer Ordnungen zugleich beschreibt – in einer Musik voller Süsse und dramatischer Härte, folkloristischer Anklänge und neutönerischer Aufgebrochenheit, ein packendes «Crossover»: Schrill keifen in «Katja Kabanova» die Alten, die Volkslieder singen die Jungen, die dieser Welt entfliehen. Im Theater Basel sind Chor, Orchester und En­sem­ble unter der Leitung von Enrico Delamboye mit hoher Kompetenz am Werk, um einem dies so auch nahezubringen.

Carte blanche

Im Städtchen Kalinoff an der Wolga herrschen strenge Sitten. Die reiche Kaufmannswitwe Kabanicha überwacht sie in ihrem Haus, der befreundete Kaufmann Dikoj als grosse Respektsperson im Ort. Dass Gewitter (Ostrowskys Stück mit diesem Titel war Janácecks Vorlage) etwas mit Elektrizität zu tun haben, kauft er dem jungen Lehrer Kudrjasch nicht ab: Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts, sagt das Libretto – ein modernes Gebäudeskelett zeigt die Inszenierung, einen Betonbau, der baustatischen Experimenten im Zusammenhang mit der Erdbebenforschung dient und im Wasser steht. Alle sind hier in weissen Labormänteln beschäftigt, und in schwarzen Gummistiefeln waten sie, wenn sie herkommen, durch die Pfütze.

Alles in allem schafft Kathrin Froschs Bühne ein Ambiente, das bewusst nicht für «Katja Kabanova» gemacht scheint. Armin Petras, der bekannte Schauspielmann, der hier seine erste Oper inszeniert, hat so gleichsam eine Carte blanche, um die Figuren in einem modernen Outfit neu zu erfinden: Die alte Kabanicha als Labor- und Mutterdrachen gewinnt mit Dagmar Peckova hysterisches Profil, Dikoj trotz stimmlicher Qualitäten bleibt eine blasse Figur. Mit den szenischen Vorgaben am glücklichsten sein können die darstellerisch wie sängerisch hervorragende Solenn’ Lavanant-Linke (Barbara) und der gefällig-burschikose Norman Reinhardt (Kudrjasch) – ein junges Paar, das sich leichtlebig in allen Verhältnissen behauptet und am Ende der Enge entflieht.

Überkostümiert

Mary Mills, eine musikalisch starke und ergreifende Katja, hätte anderes verdient als eine karikierende Jungmädchenverpuppung (Kostüme: Patricia Talacko). Stimmlich prägnant, aber eine überkostümierte Gestalt ist auch ihr Liebhaber Boris (Ludovit Ludha). Im Kontrast dazu ihr Mann Tichon (Tomas Cerny). Ihm gilt Petras’ spezielle Aufmerksamkeit. Er schleppt einen verschweissten Koffer, Symbol seines ungelebten Lebens, mit sich herum und hat ein Schauspieler-Double (Peter Moltzen) zur Seite, das sein unscheinbares Wesen und psychisches Leiden noch unterstreicht. Solcher Art, in Neben­figuren und -handlungen, ist hier Janáceks Kalinoff ein reich instrumentiertes Regielaboratorium. Und wenn ein Erdbeben das Gebäude schüttelt, auch überinstrumentiert. Die ausdrückliche Lizenz des Komponisten, bei Bedarf die Gewittertakte mehrfach zu wiederholen, wird reichlich strapaziert.