Kaputte Menschen im Unterdrückungssystem

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (15.09.2012)

Kátja Kabanová, 13.09.2012, Basel

Das Theater Basel eröffnet seine Saison mit Janáceks «Katja Kabanova»: Hier steht die Welt im Wasser

Wieder hat das Theater Basel einen renommierten Schauspielregisseur geholt, um hier seine erste Oper zu inszenieren: Armin Petras hat zur Saisoneröffnung Leos Janáceks «Katja Kabanova» auf die Bühne gebracht, eines der Werke, die den Beginn der Moderne markieren. Er hat mit seinem Operndebüt in Basel reüssiert – wie vor ihm Jan Bosse, Elmar Goerden und Stefan Pucher. Intendant Georges Delnon setzt damit die Arbeit seines nach Berlin gegangenen Opernchefs Dietmar Schwarz fort.

Wasser als vielschichtige Metapher

Janáceks Oper ist die tragische Geschichte der Katja Kabanova, die – gefangen in der dörflichen, geschlossenen Gesellschaft – von deren rigidem Regelsystem zerrieben wird. Von der machtgierigen Schwiegermutter gequält, von ihrem Mann, einem wahren Schlappschwanz, im Stich gelassen, richtet sie ihr Liebesbegehren auf den jungen Boris, der wiederum von seinem Onkel abhängig ist. Mit dem Ehebruch wird sie nicht fertig, gesteht ihn und geht – von allen verlassen – ins Wasser, in die Wolga.

Das Wasser hat Armin Petras in seiner Lesart zum Hauptelement gemacht. Hier steht die autoritäre Gesellschaft buchstäblich im Wasser. Mittendrin ist ein heruntergekommenes Betonhaus – Zeichen für die Zerrüttung dieses menschenverachtenden Systems. Das Wasser ist hier zugleich Symbol für das verborgene Unbewusste, für die verdrängten Triebe und Wünsche. Und es symbolisiert das mütterliche Element. Hier tummeln sich die Menschen, die zwar längst in die Welt gekommen, aber nie richtig geboren worden sind, die symbolisch immer noch im Bauch der herrschenden Mutter stecken als handlungsunfähige Wesen. Genau das erzählt Petras eindrücklich mit der Verdoppelung von Katja Kabanovas Mann Tichon. Der Sänger Tomás Cerný gestaltet mit kräftigem, markantem Tenor das vordergründige Mannsbild, wie es seine Mutter Kabanicha von ihm fordert. Der Schauspieler Peter Moltzen verkörpert tanzend die Psyche Tichons: Er mimt das Kind, das herumkriecht und sich windet, unfähig zu handeln.

Petras und seine Bühnenbildnerin Kathrin Frosch verknüpfen in ihrer metaphorischen Bildsprache die psychologische mit der politischen Erzählebene zu einem dichten Konstrukt, das der emotionalen Kraft des Spiels Raum gibt.

Zur Exposition der Figuren lässt sie Petras konsequent im Wasser waten. Er schält ihr Inneres nach aussen, macht die psychischen und ökonomischen Abhängigkeitsverhältnisse sichtbar. Mary Mills, die Katja Kabanova mit warmem Sopran und viel Leidenschaft singt, zeigt erschütternd auf, wie sich die innerlich zerrissene Frau in ihrer Freiheits- und Liebessehnsucht in einen Wahn steigert. Ihr gegenüber gibt Solenn’ Lavanant-Linke mit sprudelndem Mezzo die vitale Warwara, die Pflegetochter der Kabanicha. In ihrer Lebenslust trickst sie als Einzige das System aus. Ludovit Ludha spielt den Boris mit rund gestaltendem Tenor als lieben Kerl, der sich aber feige duckt vor seinem bösen Onkel Dikoj. Diesen mimt Andrew Murphy stimmstark als das würdige männliche Pendant zu Kabanicha.

Es geht ums Beben im Menschen

Der ruinenhafte Betonbau im Wasser ist ein Erdbeben-Labor. Doch nicht die Beben der Erde werden hier berechnet, sondern die Beben, welche emotionale Ausbrüche im Menschen auslösen – wenn Wünsche und Begehren der Einzelnen mit den Regeln des Unterdrückungssystems, das stark an Russland erinnert, zusammenprallen. Diktatorin über das Labor und die Menschen hier ist Kabanicha als Mütterchen Staat. Dagmar Pecková geizt als Herrin nicht mit scharfen Spitzentönen, die hier richtig gesetzt sind. Boshaft giesst sie ihre Häme über die anderen aus.

Aber sie kann das Beben dennoch nicht unterdrücken. Gesteht die verzweifelte Katja Kabanova den Ehebruch, bebt nicht nur sie, es bebt das ganze Gesellschaftsgebäude. Es blitzt und funkt. Verfemt und selbst vom verbannten Boris verlassen, trinkt sie das Gift, das im Labor gebraut wird.

Ein starker Schluss einer bewegenden Aufführung, die auch musikalisch packt. Dirigent Enrico Delamboye hätte zwar die Schärfen in Janáceks Partitur noch zuspitzen können. Sein Dirigat überzeugt aber in der genauen farblichen Abstufung und in der Steigerung hin zum Kulminationspunkt. Das Sinfonieorchester Basel entfaltet den Reichtum an Klangfarben und spielt mit viel Wärme. Das junge Ensemble und der Chor geben mit ausgezeichnetem Gesang der tragischen Geschichte ergreifenden Ausdruck.