Das Spiel vom Spiel im Spiel

Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (11.04.2006)

Turandot, 09.04.2006, Zürich

Viel Aufwand auf der Bühne und viel Applaus zum Schluss: Das lebensbedrohliche Spiel um die eisumgürtete, männermordende Prinzessin entpuppt sich letztlich als Farce.

Wenn Opernregisseuren zu einem Stück nichts Genuines einfallen will, bleibt immer noch der Ausweg, das Stück als ein Traum vom Stück zu inszenieren. So neulich am Opernhaus Zürich mit «La Favorite». Giancarlo del Monaco wählt nun den anderen - ebenso viel begangenen - Ausweg: Er inszeniert Puccinis «Turandot» als Spiel im Spiel, was in letzter Konsequenz heisst: Alle tun nur so, als ob.

Nur weiss das der Zuschauer nicht von allem Anfang an und ist vielleicht verdutzt, wenn der in Liebe entbrannte Calaf vor der Rätselszene, wo es bekanntlich um Leben und Tod geht, mit einer Nonchalance, die schon fast ans Unerträgliche grenzt, eine Zigarette raucht. Es geht ihm alles zu lange, man sieht es ihm an; er möchte, dass Turandot endlich die drei Rätselfragen stellt.

Um die Antworten ist er, ein Easy-Winner-Typ in jeder Hinsicht, nicht verlegen - klappt behände einen Laptop auf (das Publikum lacht amüsiert) und gibt die Rätselfragen in den Computer ein: Google weiss alles. Zum Schluss löst sich die düstere Szenerie aus dem vorzeitlichen China im globalen Heute auf: Im Hintergrund wird eine weltstädtische Metropole mit Skyscraper-Skyline sichtbar; Turandot und ihr Calaf setzen sich an einen weissgedeckten Tisch und stossen mit Champagner an: eine vorgezogene Premierenfeier sozusagen.

Zwergmensch

Eigentlich hätte man alles ahnen können. Calaf tritt nämlich von Anfang an mit lässiger Sonnenbrille auf, ganz Latin Lover und Herzensbrecher nach heutigem Klischee, der sich scheinbar in ein China aus märchen-mythischer Vorzeit verirrt hat. Viel Ausstattungs-Aufwand fürs Auge wird betrieben, üppige Kostüm-Orgien à la chinoise; und auch im Personal wird - bis hin zum Auftritt eines chondrodystrophischen Zirkus-Zwergmenschen - mit klischierten China-Vorstellungen nicht gespart.

Recht unbeschwert geht es in den Ping-Pang-Pong-Szenen zu - statt mit herkömmlicher Opernattitüde gestikulieren sie wie im chinesischen Schattenboxen. Das hat einen Hang zur Komik, was dem weltverloren-melancholischen Ernst ihres Heimweh-Gesanges zu Beginn des zweiten Aktes zuwiderläuft. Ähnliche atmosphärische Brüche ergeben sich auch durch das massive Bühnenbild: Mauern, nichts als Mauern, der Chor steht reihum im Arena-Halbrund statischer Zuschauer; und das alles in einer starren Jade-Architektur, möglicherweise sogar in einem unterirdischen Verlies. Dabei müsste eigentlich die ganze Oper im Freien spielen, und dann käme der berühmte Mond-Chor auch zu adäquater Wirkung. So aber verpufft die Wirkung, bleibt gleichsam Zitat.

José Cura hat Klasse

Zitiert wird - nur im Programmheft - auch eine Passage aus Sigmund Freuds Aufsatz «Das Tabu der Virginität», wo es um Penisneid und die daraus resultierende «feindliche Erbitterung des Weibes gegen den Mann» geht. Genau darin, durch ihre tiefenpsychologisch motivierte Personencharakteristik, ist «Turandot» trotz ihres chinesischen Märchen-Kolorits höchst aktuell ihrer Entstehungszeit verbunden. Und genau darin, so möchte man weiter argumentieren, erinnert sie an vergleichbare Opernheroinen aus derselben Zeit, an Elektra, Lulu oder Salome. Doch auf der Bühne ist davon nichts zu ahnen; vielmehr liest sich das, als wollte man uns nur den Speck durch den Mund ziehen.

Auf musikalischer Ebene leidet die Neuinszenierung an einer fehlbesetzten Protagonistin. Paoletta Marrocu kämpft als Turandot um die hohen Töne, die oft schmerzlich zu tief kommen; und sie kämpft um die tiefen, die nur ansatzweise Resonanz, aber viel Vibrato haben. Das schmälert ihre Ausstrahlung derart, dass es für José Cura als Calaf ein Leichtes ist, die Bühne raumgreifend zu beherrschen. Er kann es sich leisten, sein «Nessun dorma» entspannt ausgestreckt auf dem Rücken liegend zu singen. Obwohl er, mit seinem dunkel timbrierten Tenor, manchmal in wilder Ehe mit den Gesangsphrasen lebt, überzeugt er, gesanglich wie darstellerisch, durch sein packendes, vitales Draufgängertum. Das hat Klasse.

Elena Mosuc gibt eine ansprechende Liù, gesanglich wunderschön phrasiert, in der Darstellung allerdings von der Regie ziemlich im Stich gelassen. Pavel Daniluk stattet den alten Timur mit bassgewaltigen Balsamtönen aus, und Gabriel Bermúdez, Andreas Winkler und Boguslaw Bidzinski überzeugen als Ping, Pang und Pong durch stimmliche und darstellerische Wendigkeit. Ein grosses Lob verdient der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor (und Zusatzchor und Jugendchor) des Opernhauses: satte Klänge in allen Stimmlagen.

Dirigent Alan Gilbert lässt der Partitur bemerkenswerte Sorgfalt angedeihen. Seine kraftvollen, aber nie allzu grellen Klangfarben geben der Musik Glanz, aber auch Poesie, und das Orchester der Oper Zürich geizt nicht mit vollmundiger instrumentaler Opulenz. Viel Applaus zum Schluss, Begeisterungsstürme für alle - dem Publikum hat es sehr gefallen.