Bettina Kugler, St. Galler Tagblatt (17.09.2012)
Rigoletto ist in Rosetta Cucchis Inszenierung der populären Verdi-Oper zum Saisonauftakt ein Narr unter Clowns und Artisten. Auch im Orchestergraben lebt der Zirkus von anno dazumal auf.
So nahtlos dürften sich zwei Spielzeiten am Theater St. Gallen selten zusammengefügt haben. Fand die vergangene Opernsaison mit der Festspielproduktion «La damnation de Faust» von Hector Berlioz auf dem Klosterplatz ihren buchstäblich höllischen Abschluss in der Welt der Variétés, mit Mephisto als Strippenzieher und zynischem Conférencier, so knüpfen nun zum Auftakt 2012/13 Regisseurin Rosetta Cucchi und Bühnenbildner Tiziano Santi mit ihrem Schauplatz für Verdis «Rigoletto» unmittelbar und sehr konsequent an dieses Milieu an.
Farbenreiches Orchester
Was hier tatsächlich näher liegt als im Falle des Faust-Stoffs. Ist doch Rigoletto, Narr am Hofe des ausschweifend lebenden Herzogs von Mantua, die Verkörperung des tragischen Clowns, der lachen muss und Lachen provozieren, obwohl ihm zum Weinen ist. Sein Körper erregt Mitleid und Ekel, verkrüppelt, von riesigen Geschwülsten überwuchert (die Maske hat sichtlich viel Arbeit mit Starbariton Paolo Gavanelli gehabt), das Herz ist krank vor Trauer und ängstlich besorgt um sein Ein und Alles – Tochter Gilda.
Mehr Student denn Womanizer
Keiner darf von ihr wissen, doch steht sie bereits mit einem Fuss in der Manege, wenn die Zirkuskapelle, pardon: das Sinfonieorchester St. Gallen unter Pietro Rizzo, zu spielen beginnt. Für beides hat es die passenden Farben: für die nur matt glänzende Belustigung vor und hinter den Kulissen eines Wanderzirkus mit seinen Harlekinen und Jongleuren, den Seiltänzerinnen und Artisten ebenso wie für die Dramatik grosser Gefühle; sei es in intimsten Momenten ohne Netz und doppelten Boden, sei es in scharfen Blechattacken. Für die Düsternis, die das Stück durchzieht wie der im ersten Bild gegen Rigoletto ausgesprochene Fluch Monterones (ein kleiner, doch eindringlich wirkungsvoller Auftritt von Wade Kernot), ebenso wie für den Herzschlag der Hauptfiguren.
Wählt Pietro Rizzo sonst auffallend straffe Tempi, bremst er ausgerechnet dort den Pulsschlag, wo Arthur Espiritu als Herzog und «Zirkusdirektor» wieder einmal auf der Pirsch ist und rasende Erregung vorgaukelt: beim Flirt mit Lockvogel Maddalena (Susanne Gritschneder). Nicht nur hier lohnt es sich, der Musik mehr zu trauen als den Augen.
Espiritu ist ein jugendlich flatterhafter Herzog; mehr Student als alter Schwerenöter. In der luftigen Beweglichkeit des Opernschlagers «La donna è mobile» fühlt er sich hörbar wohler als dort, wo virile Strahlkraft gefragt wäre. Zu sehr agiert er dann unter Hochdruck. Arianna Ballotta kommt ohne Forcieren in herrlichste Gilda-Höhen und hat dort auch einen besonders schönen Klang. Sie spielt engagiert, wird allerdings von der Regie zu oft allein stehen gelassen. Dasselbe gilt für Paolo Gavanelli, dem man nach so reicher Erfahrung mit der widersprüchlichen Rolle des Narren deren souveräne Gestaltung zu Recht zutraut. Noch weniger One-Man-Show freilich wäre denkbar gewesen.
Bravi fürs Orchester
Bis ins Dämonische reizt Gavanelli die Masslosigkeit des zynisch gewordenen Narren aus und hat dafür alle vokalen Mittel zu Gebote; etwas brüchig wirkt er als leidender, auch selbstmitleidiger Vater in Momenten der Innenschau.
Wie heikel die als Hm-ta-ta verschrieene «Rigoletto»-Partitur ist, zeigt sich vor allem dann ungeschminkt, wenn das Orchester alle Sicherheiten verweigert: in Ensemblestellen a cappella. Nicht immer geht es da ganz lupenrein zu, weder bei Gilda, dem Herzog noch bei Rigoletto selbst; nicht immer stimmt das Timing auf den Punkt. Die Musiker im Graben ernten jedoch für differenziertes Spiel zum Schluss Bravi wie die Hauptakteure auch.
Hinter Vorhang und Plane
Raum und Kostüme (Claudia Pernigotti) deklinieren die Zirkussymbolik ausgiebig durch und sind mehr als Staffage. Gerade für die Chorszenen, mit Verve gesungen und auf der Bühne umgesetzt, bringt das willkommene Abwechslung; Hoffeste und Maskenbälle mit den immer gleichen Aktionen gibt es genug.
Rosetta Cucchi fällt da wesentlich mehr ein: zerlumpte Mädchen in Raubtierkäfigen, Wäscheleinen, zwischen denen Gilda keineswegs gewaltsam entführt wird; Vorhänge und Zeltplanen, die fast alles Schreckliche der Phantasie des Zuschauers überlassen – so auch Gildas Ermordung durch den Killer Sparafucile (Matt Boehler mit böser Bassschwärze). Stimmungsvoll ausgeleuchtet, ergibt das einen doppelbödigen, vom Publikum begeistert aufgenommenen Opernabend.