Eheliche Tragödie im Niemandsland

Martina Wohlthat, Neue Zürcher Zeitung (18.09.2012)

Kátja Kabanová, 13.09.2012, Basel

Leoš Janáčeks Oper «Katja Kabanowa» am Theater Basel

Die Musikdramen von Leoš Janáček machen zwei Vorlieben dieses Komponisten ohrenfällig: die Neigung zu tragischen, geheimnisumwitterten Frauenfiguren und seine Liebe zu den rhythmischen und harmonischen Eigenheiten des mährischen Volksliedes. «Mit meinem Schaffen will ich an das Heute gebunden sein, möchte mich aber auch einmal von diesem Heute lösen, die Fäden zerreissen, die mich an vergangene Zeiten binden», antwortete der Komponist 1927 auf eine Umfrage zur zeitgemässen Weiterentwicklung der Oper. Janáčeks Janusköpfigkeit zwischen Tradition und Moderne in einer Zeit voller Umbrüche lässt ihn uns nah erscheinen, von daher ist es wohl kein Zufall, dass sowohl in Zürich als auch in Basel die neue Spielzeit mit einer seiner Opern begonnen wird. Das Theater Basel eröffnete die Saison mit Janáčeks «Katja Kabanowa». Armin Petras, der Intendant des Berliner Maxim-Gorki-Theaters, tritt hier erstmals als Opernregisseur in Erscheinung und zeigt Janáček als Chronisten der gesellschaftlichen Stagnation.

Petras und seine Bühnenbildnerin Kathrin Frosch lassen die Oper, deren Libretto auf Alexander Ostrowskis Drama «Das Gewitter» fusst, in einem Forschungsinstitut in einem östlichen Niemandsland spielen. Dort führen die Angestellten unter der in Feldweibelmanier herrschenden Kabanicha (Dagmar Peckova) naturwissenschaftliche Versuche durch. Doch mit der Beherrschung der Natur scheint es nicht allzu weit her zu sein, steht dieses Gebäude menschlichen Wissens doch als Bauruine im Grundwasser. Die Belegschaft watet in Gummistiefeln durch knöchelhohes Nass, die Natur, bei Ostrowski und Janáček durch die Wolga symbolisiert, ist in Form von Wasser präsent, in der Gewitterszene schüttet es wie aus Kübeln.

Klamme Endzeitstimmung breitet sich aus, nur in der Liebesnacht des zweiten Akts, der an der Rückseite des Rohbaus mit zugemauerten Fensterlöchern spielt, gibt es fast idyllische Momente. Mit einem Vorschlaghammer bewaffnet, stapft Katja tapfer ihrem Schicksal entgegen. Während der Abwesenheit ihres farblosen Gatten (Tomas Cerny) findet sie in der Liebesbeziehung mit dem Aussenseiter Boris (Ludovit Ludha) ein flüchtiges Glück. Zum aufziehenden Gewitter bekennt sie vor den Arbeitskollegen ihre Untreue. Das Geständnis wird von erdbebenähnlichen Erschütterungen begleitet, im Labor der Gefühlsunterdrückung brennen die Sicherungen durch. Die Inszenierung zeigt, was die rigide gesellschaftliche Kontrolle den Frauen antut, wie sie ihre Lebenslust im Keim erstickt und wie die Heldin im Labor – und nicht in der Wolga – ihrem Leben ein Ende setzt.

Zuerst bemerkt man auf der Bühne nur Tristesse und graues Technokratentum, doch dann entwickelt sich überraschende Vielschichtigkeit. Einerseits untersucht die Inszenierung mit realem gesellschaftlichem Bezug die Verstrickungen der Figuren in ein System aus Unterdrückung und Abhängigkeit. Anderseits trägt die Figur der Katja, die von Anfang an bedingungslos ihrer Leidenschaft folgt, archaische Züge wie aus einer anderen Welt, was die betont nüchterne Versuchsanordnung auf der Bühne permanent zu sprengen droht. Das sorgt an diesem pausenlosen, dichten Abend für Spannung. Die Inszenierung dringt zum Kern der Oper vor, wenn in der Enge des Kollektivs immer wieder naturhafte Momente aufscheinen, in denen das Tier im Menschen sichtbar wird und sich die Kunst, so Janáček, «mit Krallen oder mit Pfoten» an den Menschen klammert.

Die Personenregie ist bis in den körperlichen Ausdruck der einzelnen Figuren hinein exzellent. Katjas abwesender Gatte erhält in Gestalt des Schauspielers Peter Moltzen einen schemenhaften Doppelgänger, der dem Ehebruch in stummer Qual zusieht. Die eheliche Tragödie wird so zugleich aus seiner Sicht erzählt, auch er ist ein Opfer. Katjas Ausbruchsversuch erweist sich letztlich nur als kurzer Störfall in einem System, das ebenso autoritär und menschenverachtend weiterbesteht.

Das Sinfonieorchester Basel findet unter der Leitung von Enrico Delamboye zu pulsierender Klangfülle, die als emotionale Grundschicht durch das Stück trägt und den Gesang selbst an den ekstatischen Höhepunkten nie zudeckt. Als hochkarätig besetzte Ensembleoper wirkt die Produktion sängerisch ausgeglichen, im Zentrum aber steht die bezwingend aufblühende Sopranstimme von Mary Mills als Katja. Auch darstellerisch ist Mills ein Glücksfall. In der als Filmszene angelegten Erzählung Katjas von ihrer glücklichen Jugend im ersten Akt zieht Mills alle Register ihrer sängerischen Empfindsamkeit, während die Kamera förmlich in ihrem schwärmerischen Gesichtsausdruck badet. Als hoffnungsvolles Gegenbild zur tragischen Heldin wird das Liebespaar Warwara (Solenn' Lavanant Linke) und Kudrjasch (Norman Reinhardt) aufgebaut. Es flieht am Ende aus der provinziellen Enge zu «Mütterchen Moskau». Ob dieser Weg tatsächlich in die Freiheit führt, bleibt offen.