Zögerliches Pubertätsdrama

Jürg Huber, Neue Zürcher Zeitung (19.12.2011)

Die Zauberflöte, 17.12.2011, St. Gallen

Mozarts «Zauberflöte» im Theater St. Gallen

Tamino schläft. Das ist ihm nicht zu verargen angesichts der Gefahren, die da lauern: giftige Schlangen, liebende Frauen, Feuer, Wasser. Nicht nur der Protagonist muss sich in Wolfgang Amadeus Mozarts «Zauberflöte» auf allerhand Widerwärtigkeiten gefasst machen. Auch für die Regie ist es heutzutage nicht leicht, sich zwischen Zauberspiel und Bühnenweihefest, zwischen Familientauglichkeit und philosophischem Anspruch zu positionieren und dabei sexistische und rassistische Tendenzen elegant zu umschiffen.

Vom Kind zum Jüngling

Am Theater St. Gallen stellt Bernd Mottl Taminos Weg vom Kind zum Jüngling ins Zentrum und schenkt den schwierigeren Aspekten von Mozarts Oper weniger Beachtung. Vor der Schlange gerettet, die nur in seinen kindlichen Albträumen vorhanden ist, macht sich der Held im hellblauen Pyjama auf, die Welt und die Liebe zu entdecken, während seine Angebetete in einer rosaroten Barbiewelt lebt. Die einleuchtende Idee erfährt trotz Revue-Elementen und einer subtilen Lichtregie (Andreas Enzler) eine eher langfädige szenische Umsetzung. So zieht bald der Graben die Aufmerksamkeit auf sich.

Mit wenig Druck und aufgehelltem Streicherklang, mit farbigem Holz und sorgsam austariertem Blech lässt der Dirigent Jeremy Carnall bei zügigen Tempi das Ohr gern beim St. Galler Sinfonieorchester verweilen, zumal auch die vokalen Eindrücke durchzogen sind. Zwar geben Evelyn Pollock, Susanne Gritschneder und Katja Starke in den stets wechselnden Kostümen von Friedrich Eggert ein starkes Damentrio ab, doch dem Protagonistenpaar ist die Angespanntheit seiner Situation auch stimmlich anzuhören. Julien Behrs hell timbrierter Tenor klingt in der Höhe oft gepresst und lässt erkennen, dass es Tamino nicht immer wohl ist in seiner Haut. Simone Riksman als Pamina lädt ihren lyrischen Sopran gern mit etwas viel Vibrato auf. Roman Polisadovs stimmgewaltig orgelnder Sarastro ist ein zwielichtiger Sektenführer mit einem natürlichen Hang zum Grapschen, während der als Dompteur gezeigte Monostatos (Riccardo Botta) als (zu) heikle Figur wenig Kontur gewinnt.

Nach dem seltsam spannungsarmen ersten Akt gewinnt die Fortsetzung an Zug. Für die nun in immer kürzeren Intervallen folgenden Verwandlungen bewährt sich Eggerts durch eine dunkel gekachelte Mauer zweigeteilte Drehbühne mit ihren nach Bedarf modifizierten Türen. Während Markus Beam den Papageno bereits vor der Pause als sympathischen Aussteiger zeigt, der überdies mit geschmeidigem Bariton brilliert, läuft nun Beate Ritter zu grosser Form auf.

Gesellschaftspolitische Dimension

In der Rache-Arie der Königin der Nacht feuert Beate Ritter ihre Koloraturen zielgenau ab: Szenisch grandios geht Paminas Kinderglaube in Brüche. Im Augenblick, da sie und Tamino nach den gemeinsam bestandenen Prüfungen schliesslich in den Kreis der einheitlich gekleideten Auserwählten aufgenommen werden, gewinnt die Produktion Stringenz und eine gesellschaftspolitische Dimension. Denn entsetzt ob so viel Gleichmacherei in der Erwachsenenwelt suchen die beiden stracks das Weite.