Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (20.12.2011)
Das Luzerner Theater beweist, dass Gaetano Donizettis Primadonnen-Oper «Lucia di Lammermoor» auch an einer kleinen Bühne aufgeführt werden kann. Jedenfalls fast.
Einer nervt bei «Lucia» immer. An weltberühmten Häusern ists meist der Dirigent, an mittleren Bühnen die Inszenierung, an kleinen der Tenor, die diesem Drama mit gefälschten Briefen, erzwungener Heirat, zwei unglücklich Liebenden, einer Wahnsinnigen und drei Toten übel mitspielen. Lucia aber, die Titelrolle, sie kann gar nicht anders als triumphieren: entweder als sensationelle Entdeckung, als Primadonna oder als ewiger Geheimtipp. Ohne eine Ausnahmegestalt, so viel ist allen klar, kann Gaetano Donizettis Oper nicht gespielt werden.
Gewöhnungsbedürftiges Timbre
In Luzern aber – wir wagen es kaum zu sagen – stört ebendiese Sängerin. Nicht, dass Khori Dastoor falsch singen würde, aber die Amerikanerin hat ein Timbre, an das man sich nicht gewöhnen kann. Zugegeben, wir reden über Geschmack. Es gab auch Menschen, die in der Stimme der Callas Essig hörten. Falls dem so war, dann wollen wir uns nicht ausmalen, was der Stimme von Khori Dastoor beigefügt wurde. Warum wurde nicht «einfach» ein lyrischer Koloratursopran ohne Dastoors dramatische Färbungen, ja eine junge Lokal-Soubrette ausgewählt?
ABER, und dieses Aber steht riesig über dem Gesagten: Luzerns «Lucia di Lammermoor» ist dennoch überaus sehenswert, da alle anderen Parameter wunderbar zusammenpassen.
Das Glück beginnt im Orchestergraben. Dort steht zum ersten Mal James Gaffigan, der neue Chefdirigent des Luzerner Sinfonieorchesters. Famos, wie straff er das Orchester führt, wie die bisweilen klischierten Stimmungen, die «schauerlich-schönen», eine Natürlichkeit erhalten, wie selbst banale Begleitfiguren dramatischen Gehalt gewinnen.
Darauf kann das Ensemble bauen. Höhepunkt wird das Duett von Todd Boyce (Enrico) und Carlo Jung-Heyk Cho (Edgardo). Auch Arturo (Utku Kuzuluk), Normanno (Robert Maszl) oder Raimondo (Patrick Zielke) fallen in dieser Produktion überhaupt nicht ab. Und alle zusammen – aber vor allem Khori Dastoor – spielen leidenschaftlich.
Die junge norwegische Regisseurin Susanne Oglaend verlangt den Sängern einiges ab. Sie erzählt die Handlung stringent und lässt ihrer Fantasie trotzdem freien Lauf. Bisweilen gar allzu sehr: Da fallen Puppen und Krähen von Himmel, Lucias tote Mutter geistert herum, entgegen der Musik gibt es bisweilen zu viel Bewegung, die auch mit Geräuschen verbunden ist. Die kleinen Ärgernisse sind schnell vergessen. In Werner Hutterlis von Vorhängen geprägtem Bühnenbild stecken fantastisch-theatrale Wendungen, die zeigen, wie bös unserer Lucia ihr kurzes Leben lang mitgespielt wird.