Skandalregisseur Bieito spart bei «Carmen» mit Pfeffer

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (20.12.2011)

Carmen, 18.12.2011, Basel

Für die Verhältnisse des spanischen Skandalregisseurs Calixto Bieito war diese «Carmen», die am Sonntag in Basel Premiere hatte, schon fast zahm. Auch musikalisch fehlte trotz guter Ansätze manchmal der letzte Biss.

Der Osborne-Stier, die gigantische schwarze Silhouette, die einst für die Brandy-Marke warb, ist aus Spaniens Landschaft nicht mehr wegzudenken. Er wurde sogar als Kulturgut eingestuft und entging damit dem Werbeverbot entlang spanischer Landstrassen. Der Regisseur Calixto Bieito wählte im Theater Basel dieses nationale Symbol als Chiffre für seine Inszenierung von Georges Bizets Oper «Carmen», lässt in dessen Nachtschatten die Schmugglerszene spielen und stürzt es zu Beginn des vierten Akts mit viel Getöse auf die leere Bühne.

Daneben genügen ihm als Ausstattung fünf viertürige Mercedes – Stolz jeder Zigeunerfamilie – die ihr eigenes Ballett in Bieitos «Carmen»-Choreografie erhalten. Wir sind also unverkennbar in Spanien, wir sind ebenso unverkennbar bei den Zigeunern und wir sind in der Gegenwart. Dass in diesem Umfeld die «Carmen»-Geschichte bestens funktioniert, haben wir schon vor Bieito gewusst. Wir haben auch schon Inszenierungen von Bizets populärer Oper erlebt, die weit souveräner mit den Menschenmassen auf der Bühne umgegangen sind. Und wir haben schon Arbeiten von Bieito gesehen, die weit radikaler und schonungsloser waren in ihrer Inszenierung der alltäglichen Gewalt.

Blut erst zum Schluss

Das mag daran liegen, dass der Spanier, der landauf, landab als «Skandalregisseur» etikettiert wird, diese «Carmen» schon 1999 entwarf. Es war seine erste Arbeit für die Opernbühne, die er aber seither an zahlreichen Theatern wieder neu einstudiert hat. Nun also auch in Basel, wo seine Inszenierungen seit einigen Jahren zum Repertoire gehören. Für Bieito-Verhältnisse fast schon eine familientaugliche Vorstellung also. Zwar wird Zuniga ordentlich verprügelt, zwar geht der Griff der Männer sehr schnell und oft zwischen die Beine der – nicht gerade unwilligen –Frauen, die Waffen sitzen locker, sogar Mercedes und Frasquita kriegen sich – sehr hübsch gemacht – bei ihrem Karten-Duett ordentlich in die Haare. Aber wirklich Blut fliesst erst am Ende, wenn Don José Carmen die Kehle durchschneidet. Und das ist auch einer der stärksten Momente des Abends: Das tödliche Duell der Protagonisten, allein in der angedeuteten Arena.

Je weniger Menschen auf der Bühne stehen, desto besser ist Bieitos «Carmen» – die Ausnahme der Arena-Massenszene mit Chor und Kinderchor als lautstarke Fan-Clubs bestätigt die Regel. Oft sind die Kollektive – Soldaten, Schmuggler, Zigeuner – viel zu stereotyp und uniform geführt, was dem angestrebten Realismus in der Charakterisierung der zentralen Figuren deutlich widerspricht. Auf eine plastische Gestaltung seiner Protagonisten konzentrierte sich Bieito und konnte dabei wiederum auf das Basler Ensemble zählen, das sich ausnahmslos mit viel Engagement und Körpereinsatz in Szene setzte.

Nicht dem Charakter entsprechend

Die Titelrolle sang Tanja Ariane Baumgartner makellos, aber etwas zu zahm. Ihr fehlte ein wenig der Mut zum exaltierten, Grenzen sprengenden Ausdruck, der Carmen charakterisiert. Bei Will Hartmann als Don José fehlte dazu nicht der Mut, sondern die Fähigkeiten: Sein Tenor kam besser mit der lyrischen Blumenarie zurecht als mit den dramatischen Ausbrüchen. Umgekehrt die Lage bei Svetlana Ignatovich, welche die Micaëla mit ihrer beneidenswert strahlenden Stimme wenig mädchenhaft, aber – gar nicht unpassend – stark und selbstbewusst zeichnete. Das hätte wohl auch Eung Kwang Lee mit dem Torero Escamillo gerne getan, allein dafür fehlte ihm die Substanz in der Tiefe.

Auch im Orchestergraben gelang noch längst nicht alles nach Wunsch. Gabriel Feltz entglitten immer mal wieder die Fäden in der Koordination von Bühne und Graben. Mancher Chor-Einsatz war verwackelt, wiederholt enteilte das Orchester auch den Solisten, die manchmal ambitionierten Tempi sorgten bisweilen für Hektik. Andererseits gelangen vor allem die delikateren Stimmungen at mosphärisch dicht und klanglich sensibel, während man bei den dramatisch aufgeladenen Schicksalsmotiven durchaus ein bisschen schwerere, dunklere Klänge ertragen hätte.