Desperate Housewives in der Unterwelt

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (31.12.2011)

Orphée aux Enfers, 29.12.2011, Bern

Wo Offenbach draufsteht, ist nicht immer Offenbach drin: Regisseure benutzen dessen Operetten immer öfter, um daraus aktualitätsbezogene Abende zu machen. Gewiss kein dummer Gedanke, allein die Musik leidet oft unter den wilden Bemühungen. Nicht so am Stadttheater Bern: fast schon liebevoll, wie man hier «Orpheus in der Unterwelt» in einer deutschen Dialogfassung der Regisseurin Laura Scozzi zeigt. Aber zum Glück wird der Fantasie trotz Festhalten an der Rahmenhandlung viel Raum gelassen. Der Beginn gelingt Scozzi geradezu grandios: Mit Leichtigkeit werden aus Göttern Sozialhilfebezüger oder aus lieblichen Sagengestalten Coiffeusen.

Eurydice (stimmlich und darstellerisch überragend Anne-Florence Marbot) führt den Coiffeursalon «Eurydice», die Desperate Housewives gehen hier ein uns aus. Die Meisterin selbst verlässt bisweilen kurz ihr Geschäft, wartet doch einen Stock höher ihr Liebhaber Pluto, verkleidet als «Schäfer» Aristeus (Matthias Grätzel) – ein (echter) Schäferhund ist ihm als Attribut geblieben. Dumm nur, dass auch Orpheus (elegant singend Andries Cloete) in der Wohnung gegenüber seine Geliebte trifft. Die Eheturbulenzen kommen beiden gerade recht, für Eurydice geht der Eheausflug zusammen mit Pluto in die Tiefgarage, derweil Orpheus mit dem Lift hochfährt zur Loft von Göttervater Zeus (etwas behäbig Armand Arapian). Bös hat das ewige Leben Juno, Diano, Merkus und Co. mitgespielt, trotz Nektar droht der Tod, ein Gott mit Heiligenschein und Maria am Arm steht als Nachmieter bereit.

Toller Beginn, lahmes Finale

Das grosse Hallo folgt im zweiten Teil, wenn sich Mensch und Gott in der Tiefgarage bzw. der Unterwelt treffen. Doch abgesehen von klugen Spässchen gelangt die Regisseurin nicht über das nette Abbilden hinaus oder gar aus der zu Beginn so magischen dreigeteilten Welt heraus. Weder der berüchtigte Cancan noch der Auftritt von Bacchus können den Abend in einen finalen Rausch reissen. Wenig förderlich auch, dass das von Dorian Keilhack geleitete Berner Sinfonieorchester kaum Akzente setzt.

Immerhin: Der Schlag auf die Pauke der Silvesterheiterkeit ging in Zürich am Dienstag mit zwei Donizetti-Einaktern tüchtig daneben, in Bern hingegen gibts einen reizvollen Tischbomben-Knall.