Tobias Gerosa, St. Galler Tagblatt (26.09.2012)
Zürich Janáčeks Oper Jenufa löst den Anspruch szenischer Erneuerung ein, musikalisch bleiben aber Wünsche offen.
«Offen!», prangt plakativ am Opernhaus Zürich, und die Mitteilung ist klar: mit der Intendanz von Andreas Homoki soll das Image ändern. Die erste Premiere am Sonntag wird da programmatisch: ein Werk des 20. Jahrhunderts, ein hoch gelobter neuer Regisseur und der neue Chefdirigent.
Nicht Mord, sondern Unfall
Das Versprechen, der Szene mehr Gewicht zu geben, wird durch die Regie Dmitri Tscherniakovs eingelöst. Vor der sehr genauen Personenführung fällt sein aufwendiges Bühnenbild auf: Ein dreistöckiges Haus, das vertikal verschoben wird. Darin leben drei Generationen der Familie Buryja aneinander vorbei. Die Regie erzählt ungemein genau, wagt aber auch wesentliche Umdeutungen der Geschichte. Die Stiefmutter bringt das uneheliche Kind Jenufas nicht um, vielmehr fällt es offenbar aus dem Fenster des Dachstocks.
So spektakulär das Bild ist, Tscherniakov schafft sich grundsätzliche Probleme, die er auch mit der spannenden, in überzeugende Bilder gefassten Generationenfrage nur zum Teil vergessen machen kann. Für wen ist ein uneheliches Kind heute noch ein Grund, die Mutter zu verstossen? Für die Hipster-Gesellschaft um Pavol Bresliks leichtgewichtigen Steva jedenfalls kaum.
Wenn die frustrierte Küsterin, die Michaela Martens mit vielen Zwischentönen anlegt, das Kind entführt und in ihrem Dachstock versteckt als Ersatzmutter aufziehen will, gibt das der Figur zwar interessante neue Facetten, aber der Kindsmord aus Ehre verkleinert sich zum Unfall.
Am wenigsten betroffen davon sind neben Christopher Ventris bodenständigem Verehrer Laca die Titelfigur: Kristine Opolais überzeugt darin als sehr intensive Sängerdarstellerin, die ihre inneren Nöte sicht- und hörbar machen kann. Allerdings droht sie manchmal von den Orchesterwogen zugedeckt zu werden. Die Kammerspielqualitäten gehen dann verloren.
Zu laut, ohne Kanten
Generalmusikdirektor Fabio Luisi hat das Opernhausorchester zu Philharmonia Zürich umbenannt, stand bei der Premiere von «Jenufa» aber zum allerersten Mal im Zürcher Graben – und nicht als erster wird er im relativ kleinen Theater zu laut: Kein guter Einstieg, weil Luisi auch den spezifischen herben Tonfall Leos Janáčeks kaum trifft und mit Wohlklang die Kanten eben schleift.
Im Anspruch, Musiktheater mit Bezug zum Heute zu machen, ist das Opernhaus mit dieser ersten Premiere der Intendanz von Andreas Homoki szenisch einen Schritt vorangekommen. Musikalisch noch nicht.