"Jenufa": Pereiras Nachfahren in Zürich

Walter Dobner, Die Presse (26.09.2012)

Jenufa, 23.09.2012, Zürich

Mit einer szenisch wie musikalisch durchwachsenen Neuproduktion von Leoš Janáčeks "Jenufa" begann an der Zürcher Oper die Ära Homoki/Luisi als aufwühlende Geschichte dreier Frauengenerationen.

Belcanto war eines der dominierenden Markenzeichen der beiden vergangenen, von Alexander Pereira verantworteten Jahrzehnte an der Zürcher Oper. Auch in Zukunft wird darauf nicht vergessen. So leitet der neue Generalmusikdirektor, Fabio Luisi, zum Saisonfinale Bellinis „Straniera“. Auch bei der großen Verdi-Premiere der Zürcher Saison, „Rigoletto“, steht er selbst am Pult. Die Wagner-Premiere, den „Fliegenden Holländer“, wird der neue Intendant Andreas Homoki selbst inszenieren; Alain Altinoglu, einer der jüngeren, doch bereits erfahrenen Maestri, auf die das Zürcher Opernhaus setzen will, wird dirigieren.

Den Auftakt der neuen Ära machte eine Neuproduktion von Leoš Janáčeks „Jenufa“ als aufwühlende Geschichte dreier Frauengenerationen, die auch nach Katastrophen ihr Refugium für niemanden öffnen wollen. Als Laca zum Schluss Jenufa als seine Frau heimführen will, wird er von ihr mehr oder minder unsanft aus dem Haus gedrängt. Die drei Frauen bleiben alleine zurück. Dass dies nur ein Intermezzo sein kann und die Geschichte weitergeht, zeigen die links auf der Bühne platzierten Trolleys. Wenigstens einer davon ist wohl für die Küsterin gedacht, die den Mord an Jenufas Sohn im Gefängnis büßen wird.

In einem Haus mit drei Etagen

So jedenfalls sieht Regisseur (und Bühnenbildner) Dmitri Tscherniakov das Finale der Oper. Diese Interpretation steht im Gegensatz zur Musik, die mit zarten Klängen den endlich gefundenen Liebesbund von Jenufa und Laca so eindringlich-poetisch schildert. Im Übrigen erzählt der als Shootingstar gehandelte Regisseur in seiner ersten Janáček-Inszenierung die Story detailgetreu; abgesehen davon, dass er sie ins Heute verlegt und – offenbar zur besseren Übersicht – in einem Haus mit drei Etagen spielen lässt.

Nicht um die Sichtbarmachung einstiger mährischer Moralbegriffe geht es ihm, sondern um die Verdeutlichung der Beziehungen zwischen den drei Frauen, die dieses Stück dominieren: der alten Burya (glaubhaft: Hanna Schwarz), der von ihr wenig geliebten Schwiegertochter, der Küsterin (emphatisch, tremolierend in den Höhen: Michaela Mertens), und deren Stief- und Ziehtochter Jenufa (hoch konzentriert, emotional unterschiedlich überzeugend: Kristine Opolais). Subtil zeichnet Tscherniakov deren Interaktionen, macht durch die wechselnden Kostüme deutlich, wie die Stimmung von outrierter Ausgelassenheit in die Katastrophe abdriftet. Schrille Farben münden in der Trauerfarbe Schwarz. Ein sprechender Kontrast zur weiträumigen weißen Polstergarnitur, die das Bühnenbild dominiert.

Auch für Luisi war es die erste Janáček-Oper. Er konzentrierte sich an der Spitze des bestens vorbereiteten Orchesters auf die Herausarbeitung der Kontraste der in ihrer Originalfassung gespielten Partitur, setzte auf schlanken, durchsichtigen Ton, legte den Sängern einen meist idealen Klangteppich. Nicht zuletzt den herausragenden Gestaltern der Halbbrüder Števa und Laca - Pavol Breslik und Christopher Ventris, die mit stimmlicher Differenziertheit wettmachten, was ihnen die Regie an Aufmerksamkeit verwehrte.