Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (22.10.2012)
La Wally, die Opernrarität von Alfredo Catalani, erobert St. Gallen: Mit einer stimmigen Inszenierung, einer guten Ensembleleistung und einer Mary Elisabeth Williams als perfekte Wally-Diva.
Da steht sie am Schluss, die stolze Wally, im weissen prachtvollen Hermelinpelzmantel, vor dem Vorhang eines Plüsch-Theaters und hebt triumphierend die Arme. Nun hat sie, am Ende der Oper, wieder Oberwasser und singt ihre anrührende Schlussapotheose. Diese Geier-Wally stürzt sich nicht – wie in der Vorlage verlangt – in den Abgrund, dem von der Lawine begrabenen Geliebten Hagenbach hinterher; sie gebärdet sich vielmehr als die stolze, unnahbare Diva, diese glamouröse Kunstperson, welche die Figuren auf der Bühne wie in einem gigantischen Marionettentheater beherrscht und an der Nase herumführt.
Unbeugsames Bauernmädchen
So die dramaturgisch geschickt aufgebaute Sicht von Regisseur Guy Joosten auf die naturalistische Story um das unbeugsame Bauernmädchen aus dem Ötztal, das nicht gewillt ist, ihre Idee von Freiheit und Liebe im Umfeld einer bornierten Älplerschaft aufzugeben. Joosten bricht damit das Pathos der Vorlage von Anfang an, er exponiert die Story, indem Wally – von Mary Elisabeth Williams intensiv gespielt – im glamourösen Schein eines rotsamtenen Operntheaters ihr Selbstverständnis als Diva zelebriert. Wally wird danach zur Metapher einer in sich zerrissenen Persönlichkeit.
Grosse Stimmigkeit und Dichte
So kann das Drama in den Alpen ablaufen, ohne in naturalistischer Heimatpeinlichkeit zu versinken. Oben der Prospekt der Berglandschaft, unten die wechselweisen Schauplätze der Handlung vom Dorffest bis zum Schlafgemach Wallys und die als diffuse Schauerlandschaft angedeutete «Schlucht», in die Gellner seinen Widersacher Hagenbach stösst. Das renommierte Ausstattungsteam mit Johannes Leiacker (Bühne und Kostüme) und dem Lichtdesigner Manfred Voss sorgt für ein Ambiente von grosser Stimmigkeit und Dichte.
Denn bei Joosten gilt stets die Frage, ist es Theater, ist es Wahrheit, wie die Dramatis personae miteinander umgehen. Jeder scheint mit jedem zu spielen und wird doch selber an der Nase herumgeführt. Das erfordert hohe schauspielerische Fähigkeiten, die mit Wally und ihrem Widerpart Gellner grandios vertreten sind.
Wie sich der stolze Jägersmann unterwürfig dem Diktat seiner Angebeteten beugt, um am Schluss des zweiten Akts in triumphaler Lüsternheit über sie herzufallen, das gelang Gabriel Suovanen eindringlich, und indem er seine Stimme expressiv bis an die Grenze (oder darüber hinaus) trieb. Mary Elisabeth Williams ihrerseits präsentierte mit ihrem warm timbrierten Sopran eine breite Ausdruckspalette und zeichnete das differenzierte Psychogramm einer Diva.
Modestas Pitrenas am Pult des agilen Sinfonieorchesters St. Gallen forderte von seinen Protagonisten auch alles ab, er trieb die Musik in die Extreme, changierte geschickt zwischen den melodiösen, in konventionellen Bahnen fliessenden ariosen Teilen und den dramatisch aufgeladenen rezitativischen Passagen. Bei so viel Furioso gab es zuweilen Koordinationsprobleme und manchmal hätte man sich ein bisschen mehr von jener Durchsichtigkeit in der Faktur gewünscht, wie sie im Programmheft von Peter Heilker so betont wird – bei Pitrenas überwog das Bedürfnis nach Nähe zum Verismo.
Farbenprächtiges Tongemälde
Mehr Lyrik hätte insbesondere Arnold Rawls als Hagenbach gut bekommen. Sein Tenor war der hohen Tessitura der Partie nicht immer gewachsen, er musste mit seiner einförmig und eng geführten Stimme etwas forcieren und mochte Vater Stromminger, von David Maze mit mächtig bestimmtem Bass gesungen, nicht wirklich Paroli zu bieten. Im vierten Akt steigerte sich Rawls allerdings zu einem eindrücklichen Gesangsduell mit seiner Bühnenpartnerin.
Wie sehr Catalani in seiner Musik mit schroffen Brüchen für Spannung sorgt, zeigte sich in St. Gallen schön bei der Figur des Walter, den die Koloratursopranistin Alison Trainer mit beweglicher, leichter Stimme prägte. Stimmig, wie sie mit der Ballade vom Mädchen, das von einer Lawine erfasst und getötet wird und sich in ein Edelweiss verwandelt, zusammen mit der Harfe für ein leichtfüssiges Gegengewicht sorgte. Theresa Holzhauser als Afra und Matt Boehler als Bote ergänzten das gut disponierte Ensemble zusammen mit dem Chor (Einstudierung Michael Vogler), während das Sinfonieorchester die «Bergwelt» als farbenprächtiges Tongemälde präsentierte.