Tobias Gerosa, Der Bund (21.03.2006)
«La Favorite» am Opernhaus Zürich: Musikalisch in Frankreich, szenisch im Niemandsland
Unerhört im landläufig negativen Sinne was die Regie, unerhört im positiven wörtlichen Sinn was die musikalische Interpretation betrifft und sängerisch irgendwo dazwischen: Donizettis «La Favorite», interpretiert von Philippe Sireuil und Marc Minkowski.
Der König hält sich eine Mätresse, diese verliebt sich in den angehenden Mönch Fernand und befördert ihn zum Offizier. Als Lohn für seine militärischen Siege erfüllt ihm König Alphonse XI. einen Wunsch. Alle wissen, wer Léonor de Guzman ist, die er sich zur Frau wünscht - ausser Fernand selber. Entehrt zieht sich Fernand ins Kloster zurück, wo ihn die todkranke Léonor gerade noch erreicht, um in seinen Mönchsarmen zu sterben.
Nicht das einer historischen Begebenheit des 14. Jahrhunderts nachgeformte Libretto war neu, sondern wie Gaetano Donizetti in seiner Oper «La Favorite» das italienische Melodrama mit der französischen Grand Opéra verband. Hörbar wird das aber nur in der französischen Urfassung, die man in Zürich nun spielt. Dirigent Marc Minkowski ist bisher nicht nur in Zürich vor allem als Spezialist für Alte Musik aufgetreten. Dass er sich jetzt ausgerechnet Donizetti zuwandte, hat erstaunt. Steckt in dieser Musik unerhörtes Potenzial? Allerdings muss man nach der sonntäglichen Premiere sagen.
Französisch in Klang und Gestus
Minkowskis Feuer überträgt er auch auf diese Musik, treibt das Orchester an, reisst unmittelbar mit. Einige Details gelingen im Überschwang noch nicht, ein paar Einsätze werden verpasst oder kommen zu früh - aber immer mit Energie, manchmal vielleicht etwas gar rasant-sportlich, aber wohltuend aufregend. Auch wenn er aufdreht, wird der Klang nie dröhnend und leise Stellen werden delikat ausgeformt. Aber am überraschendsten ist, wie sehr Minkowski Donizettis Musik im Grundgestus französisch formt und färbt. Vieles wird einen Tick eleganter und duftiger, ohne dabei aber an dramatischer Kraft einzubüssen. In der rhythmischen Verve oder den spitzeren Blechbläsern sind Meyerbeer und Offenbach bereits angelegt und mit italienischer Kantabilität verbunden.
Italianità auf der Bühne
Nur müsste diese orchestrale Vorlage auf der Bühne aufgenommen werden; auch sängerisch bestehen Stilunterschiede zwischen Italien und Frankreich, das ging im Besetzungsbüro des Opernhauses ausser bei den Comprimari Eric Huchet und Jael Azzaretti offensichtlich vergessen. Mit Vesselina Kasarova hatte man eine hochkarätige szenische Rollendebütantin für die Titelpartie (konzertant hat sie die Rolle schon gesungen), deren Belcanto-Fähigkeiten und Vielseitigkeit bekannt sind, die in dieser Produktion aber seltsam befangen agiert - bis auf ihre grosse Szene des dritten Aktes auch vokal.
Doch um sie herum hat man Sänger engagiert, die sich Donizetti nicht anders als italienisch vorstellen können und Minkowskis Bemühungen kaum aufnehmen. Am blässesten agiert Roberto Servile als Alphonse. Den König, der dem Papst die Stirn bietet, nimmt man ihm nicht ab. Seine Stimme klingt verbraucht und resonanzarm, vom Text versteht man kein Wort, dazu kommt eine Darstellungsweise, die man geradezu konzertant nennen kann. Ein Problem, das auch bei Carlo Colombaras sonorem Abt Balthazar und Fabio Sartoris Fernand stört. Doch auch sie singen höchstens übersetztes Italienisch und es fehlt am französischen Stil, an der Eleganz der Linien und an der Gestaltung aus dem Text. Besonders deutlich hörbar ist dies an Fernands Arie «Ange si pur» mit ihrem komponierten hohen C. Wenn Sartori dynamisch nicht erst hier variabel gestalten würde, wäre er für die italienische Fassung eine gute Wahl, in Zürich spielt man aber die französische.
Ach, und die Regie. Philippe Sireuil hat Ende letzter Saison eine unspektakuläre, aber genaue «Bohème» inszeniert, zur «Favorite» ist ihm gar nichts eingefallen. Als Fernands Traum wolle er die Fabel erzählen, liest man im Programmheft. Ausser einem leitmotivisch immer wieder über die dunkle Bühne ruckelnden Walfisch-Schiff ist davon nichts zu erkennen. Man steht (die Männer) oder irrt (die Kasarova) herum, wie es eben so kommt. Das gelungene Bild der Mächtigen in der Stierkampfarena, begafft vom Volk auf den Rängen im dritten Akt ist zu wenig, um den beliebigen Eindruck, den auch das Ballett hinterlässt, zu korrigieren.