Oliver Meier, Berner Zeitung (20.11.2012)
Kitsch grüsst Ironie: Konzert Theater Bern zeigt Rossinis «La Cenerentola» als turbulente Märchenparodie und fröhliches Requisitenfest. Ein zwiespältiges Vergnügen.
Es war einmal – ein Gold furzender Esel. Ein Prinzendiener mit Leningrad-Cowboys-Frisur. Ein schwebendes Disneyland-Pferd mit Glitzersattel. Ein Sahnetortenschloss, bestückt mit Feuer speienden Zuckerstöcken. Eine Prinzessin, die ihre Glückskoloraturen purzeln lässt – und vom Prinzen freundlichst dazu angehalten wird, sich beim Singen doch bitte ein wenig zu beeilen. Wie gut würde das alles an einen Kindergeburtstag passen. Doch passt es auch zum Opernklassiker «La Cenerentola»? Rossinis «Aschenbrödel»-Adaption (1817) ist eine raffinierte Komödie mit tragischen Untertönen, die sich wesentlich von der Märchenvorlage unterscheidet. Aschenbrödel heisst hier Angelina. Es gibt keine Tauben, keine gläsernen Schuhe, keine ausgepickten Augen. Und auch keine gute Fee. Dafür gleich zwei Prinzen – einen echten und einen falschen. Wer kann da den Durchblick behalten? Rossinis Librettist hat – als Feenersatz sozusagen – die Figur des Alidoro geschaffen, der als Philosoph und Prinzenlehrer die Handlungsfäden im Griff hat.
Eifrige Überzeichnung
Hier setzt Regisseurin Cordula Däuper an. Alidoro (Martin Lorenz Weidmann) ist bei ihr ein kauziger Märchenenthusiast, der die Story entfaltet und kommentiert. Er tut es mit einem Bilderbuchlibretto unter dem Arm, als Theatergott im Biederlook, der mit der Bühnenmaschinerie Wunderliches vollbringt. Und sich zugleich über manches wundert, was das Libretto bereithält.
Damit sind Ton und Perspektive gesetzt. In Däupers Inszenierung wird «La Cenerentola» zur ironischen Märchenparodie, in der sich das Theater als Illusions- und Desillusionsanstalt feiert. Und durch die Hintertüre wieder reinbringt, was Rossinis Librettist rausgeworfen hat. Die Kinder dürfte es freuen. Und – dem üppigen Premierenapplaus nach zu schliessen – auch viele Erwachsene. Ein Erfolg für Konzert Theater Bern, das die Produktion als «Musiktheatererlebnis für die ganze Familie» verkauft?
Nüchtern betrachtet, ist der Ansatz eher billig, und er kann mit der Zeit auch gehörig nerven. Im Eifer der Überzeichnung und Brechung bleiben Charme und Raffinesse auf der Strecke. Däupers Inszenierung wirkt wie die Dauerdemonstration einer Selbstverständlichkeit: dass dieses Genre voller Zufälle und Unwahrscheinlichkeiten ist. Und sie erfindet dafür eine Fülle von Gags, die auch in der Wiederholung nicht besser werden. Da wird Aschenbrödel öfters zu Aschenblödel. Der Preis dafür ist ziemlich hoch. Rossinis tragische Schlaglichter sucht man beinahe vergebens. Die Figuren wirken marionettenhaft und eindimensional: Die Zickenschwestern Tisbe (Claude Eichenberger) und Clorinde (Camille Butcher) sowieso, aber auch Prinz Ramiro (Peter Tantsits) und sein Diener, der Möchtegernprinz (Robin Adams). Am überzeugendsten zeigt sich neben dem ausgezeichneten Chor (Leitung: Zsolt Czetner) Michele Govi als tragikomischer Don Magnifico.
Quirlige Protagonistin
Und die Protagonistin? Angelina hat bei Christina Daletska etwas von einer quirligen Pippi Langstrumpf, die selbst beim garstigen Bodenschruppen dauergrinst – so schlimm kanns also nicht sein. Dass sie schwankt zwischen «süsser Hoffnung» und «eisiger Furcht» – man spürt davon: nichts. Stimmlich hat die 28-Jährige mit ihrem leichten, sehr agilen Mezzosopran durchaus ihre grossen Momente. Doch bei den vertrackten Koloraturen schleichen sich Unschärfen ein, und in den Ensembles trägt ihre Stimme zu wenig.
Immerhin: Der Abend hatte durchaus Schwung – dank Dirigent Srboljub Dinić und dem Berner Symphonieorchester. Zwar könnte man diese Rossini-Musik noch trockener, transparenter und präziser spielen. Doch der leichte, geschmeidige Orchesterklang wirkt im Gegensatz zum Bühnengeschehen nie bemüht.