Peter König, Der Bund (20.11.2012)
So einfallsreich und witzig hat man Gioachino Rossinis Erfolgsoper «La Cenerentola» – besser bekannt als «Aschenputtel» – selten gesehen. Das Stadttheater Bern hat auch mit seiner zweiten Oper Erfolg.
Der leider auch während der beiden Akte sehr gesprächige Herr in der vierten Reihe brachte es in der Pause auf den Punkt: «eine tolle Vorstellung». Genau so lässt sich die jüngste Opernproduktion des Stadttheaters Bern, Gioachino Rossinis 1817 in Rom uraufgeführte «La Cenerentola», zusammenfassen.
Gewiss, etwas viel Disneyland für nüchterne Gemüter. Auch mit Barbie-Reminiszenzen wird nicht gespart. Wer sich aber auf das Spektakel einlässt, kommt voll auf die Rechnung. Ein überreiches Bündel guter Ideen, Musik, die auch nach fast zwei Jahrhunderten nichts von ihrer Strahlkraft eingebüsst hat, ein tolles Ensemble und ein glänzend aufgelegtes Orchester sorgen für einen kurzweiligen und witzigen Abend.
Kurzweilig und bunt
Die Aufführung eignet sich auch für Kinder: Die sonst getreu das Libretto übersetzenden Übertitel werden gekonnt in die Handlung einbezogen und beschränken sich oft auf ironische Zusammenfassungen. Wenn im Quintett im ersten Akt einfach «Grosse Konfusion» oder im wüsten Streit der Schwestern «Das übliche Gezicke» steht, ist allen bestens gedient.
Das Werk mit der selbsterklärenden Gattungsbezeichnung «Opera semi-seria» ist hier zu höchstens fünf Prozent ernst, sonst aber hat sich Regisseurin Cordula Däuper mit Haut und Haar (was für Perücken!) der Komödie verschrieben. Unter Aufbietung aller Kräfte des Hauses und gemeinsam mit Ralph Zeger (Bühne) und Sophie Du Vinage (Kostüme) hat sie ein märchenhaft buntes Kaleidoskop der Sinne auf die Bühne gezaubert. Es funkeln die Einfälle, die Wunderkerzen und Rossinis Musik. Während der Ouvertüre erzählt der gute Geist Alidoro (Martin Lorenz Weidmann) die Geschichte aus einem riesigen Märchenbuch, nur die erste endlos vieler Übertreibungen.
Das Regieteam trägt dermassen dick auf, dass jeglicher Einwand im Keim ersticken muss. Das Publikum freut sich an immer wieder neuen Gags: ein Goldesel, der auch wacker kackt. Ein fliegendes Pferd mit Kutsche. Ein devoter Schlussauftritt des bösen Trios in Sack und Asche. Die schon im Libretto zickig gezeichneten Schwestern Clorinda (Camille Butcher) und Tisbe (Claude Eichenberger) sind masslos übersteigerte Karikaturen, doch Eichenberger macht klar, dass auch sie durchaus eine valable Titelheldin abgeben würde.
Sängerglück
Don Magnifico di Montefiascone – welch herrlich doppeldeutiger Name! Die Figur des heruntergekommenen Landjunkers ist Michele Govi wie auf den Leib geschrieben. Wer ihn hier zum ersten Mal gehört hat, wird nicht glauben, dass dieser begnadete Komödiant, der neben einem satten, tenoral eingefärbten Bariton über ein unerschöpfliches Mienenspiel gebietet, auch ein furchterregender Macbeth sein kann. Das Gerücht, Robin Adams habe eine Vertragsklausel mit Garantie für Auftritte mit entblösstem Oberkörper, lässt sich noch immer nicht widerlegen. So gross die Gefahr ist, mit zunehmender Repertoire-Breite an Profil einzubüssen: Sein Dandini gibt keinen Anlass zu solchen Bedenken.
Für Dinic wie gemacht
Adams geniesst den Status des Publikumslieblings sichtlich. Peter Tantsits (Don Ramiro) hat eine interessante, nicht dem klassischen Rossini-Muster entsprechende Stimme, höhensicher und kräftig. Dem Aschenputtel der jungen Ukrainerin Christina Daletska schliesslich hat die Regisseurin mehr Profil zugebilligt als üblich: Ist Angelina sonst bloss die schicksalsergeben Verstossene, entwickelt sie hier durchaus Widerstand und lässt sich nicht alles bieten. Eine schön gerundete, gut geführte und angenehm timbrierte Stimme mit sopranhaften Höhen ist Gewähr für eine Interpretation, die es mit grossen Vorbildern aufnehmen kann. Bloss in der Tiefe mangelt es noch ein wenig an dunklen Schattierungen. Gleichwohl ist ihre Schlussarie «Nacqui all’affanno» der musikalische Höhepunkt dieser Premiere.
Dirigent Srboljub Dinic, dem viele Stile liegen, ist selten so in seinem Element wie hier. Von allen Belcanto-Komponisten ist Rossini der Witzigste und Unterhaltsamste, aber es bedarf des gewissen Quäntchens Schmiss und Schmalz, seine Partituren zum Leben zu erwecken. Es gibt kaum Langweiligeres als lustlos heruntergenudelte Rossini-Repertoirevorstellungen an grossen Opernhäusern. Hier aber das pure Gegenteil: Das prickelt und perlt von der ersten Minute an, lustvoll der Dirigent, begeisterungsfähig und für eine Premiere bemerkenswert präzise das Orchester. «La Cenerentola» besteht nicht nur aus Spass, es gibt romantische, schmelzend schöne Passagen, und auch ihnen zollen Dinic und das BSO gebührend Respekt. Der von Zsolt Czetner tadellos vorbereitete Chor macht beim Klamauk munter mit. Es würde wundern, wenn diese Produktion nicht zum Grosserfolg würde. Und es würde nicht wundern, müsste man eine Zusatzvorstellung ansetzen.