Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung (11.12.2012)
Mit Wagners «Fliegendem Holländer» hat der Zürcher Opernintendant Andreas Homoki an seinem Haus als Regisseur debütiert. Mit Bryn Terfel in der Titelrolle erhält der Abend besonderen Glanz.
Was ist nur mit der lieben guten alten Oper los? Kein Schwan in Mailand beim «Lohengrin», beim «Fliegenden Holländer» in Zürich kein Schiff. Fast keines. Nämlich nur eines auf einem Bild an der Wand, dafür eines, das sich bewegt und vergrössert. Wie für Claus Guth an der Scala ist für Andreas Homoki, den Intendanten der Zürcher Oper, der sich an seinem Haus jetzt erstmals als Regisseur vorgestellt hat, das «Holländer»-Schiff nicht wörtlich zu nehmen, sondern als Zeichen zu verstehen. Als Verkörperung dessen, was in Richard Wagners früher romantischer Oper gemeint sein könnte. Was dahintersteht, das ist es, wofür sich Homoki in seiner Inszenierung interessiert.
Gefahr von aussen
Dahinter steht für den Regisseur die Welt des Daland – der für ihn allerdings nicht ein norwegischer Seefahrer in grauer Vorzeit ist, sondern der Inhaber einer Handelsgesellschaft aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die zwischen den Kontinenten zur See fahren lässt – es könnte sogar ein Unternehmen unserer Tage sein. Wie im gründerzeitlichen «Lohengrin» der Scala dominiert auch hier, in der Ausstattung von Wolfgang Gussmann und Susana Mendoza (Kostüme), das Dunkelbraun der grossbürgerlichen Holztäferung. In der Bühnenmitte steht ein mächtiger Baukörper: ein Treppenhaus, ein Schrein der Geheimnisse? Darum herum wuseln und wieseln sie, die Bürolisten in ihren schwarzen Anzügen und weissen Hemden, mit ihren schwarz geränderten Brillen und den schwarzen Ärmelschonern, später dann die ebenfalls bebrillten Stenotypistinnen in ihren schwarzen Deux-Pièces und den weissen Blusen.
Alles hat hier seine Richtigkeit, seine Sicherheit – auch wenn die Telefonverbindungen nicht immer zustande kommen und der Telegraf auf dem ausladenden Tisch langsam reagiert. Eine freilich fällt aus dem Rahmen, sie trägt auch keine Brille; es ist Senta, die Tochter des Firmenbesitzers Daland, die mit dem einzig auf die klingende Münze ausgerichteten Leben ihres Vaters nichts zu tun haben will. Sie hat vielmehr einen Traum. Das Ziel ihrer Wünsche ist ein Bild, das Bild eines Mannes, dem sie in ewiger Treue verbunden sein könnte – und siehe da, schon wird das Bild Wirklichkeit, scheint es jedenfalls zu werden. Das bringt die Verhältnisse gehörig durcheinander und lässt selbst den Baukörper in der Mitte in Bewegung geraten.
Mit dem Auftreten des Holländers dringt etwas Unfassbares in die geordnete Welt des Kontors ein, etwas Gefährliches. Wie die fernen Welten Afrikas, die durch den stummen schwarzen Diener Dalands (Nelson Egede) und raumgreifende Landkarten repräsentiert sind – und die dann das alkoholreiche Fest des dritten Akts auf seinem Höhepunkt mit tödlichen Pfeilen in sein Gegenteil kippen lassen. Auch Senta bekommt den scharfen Wind zu spüren, der von aussen hereinbläst; die Sache mit dem Holländer erweist sich als Trug, am Ende bleibt ihr nichts als der Tod. Die Verklärung tritt nicht ein, denn gespielt wird in Zürich eine ursprüngliche, pausenlose Fassung des Stücks, die vor der bekannten, 1843 in Dresden uraufgeführten Version liegt.
Etwas viel Bewegung herrscht auf der Bühne, ein Hin-und-Her-Rennen, das nicht eben professionell, weil zu wenig kunstvoll wirkt. Aber die Geschichte des «Fliegenden Holländers» wird schlüssig erzählt, und die Figuren sind präzis gezeichnet. Bryn Terfel, der zum ersten Mal am Opernhaus Zürich auftritt und ein hinreissendes Debüt feiert, gibt einen rabenschwarz bedrohlichen Holländer. Wie er den Mund öffnet, scheinen die Wände des Opernhauses zu wanken, derartige Kraft steht ihm zu Gebote. Sein Timbre ist von einzigartiger Kernigkeit, die Diktion makellos – wenn er einen Vokal wie das a in der Tiefe erklingen lässt, verliert man schier das Gleichgewicht. Mit Matti Salminen steht ihm ein Daland von ebenbürtiger Wucht gegenüber, der seine Donnerstimme aber auch ganz schön zum Tanzen bringen kann. Marko Jentzsch als der verzweifelnde Jäger Erik liess sich an der Premiere für indisponiert erklären, Liliana Nikiteanu ist eine Prokuristin Mary von virtuoser Bosheit und Fabio Trümpy ein netter, wenn auch zu weinerlicher Steuermann.
Dann aber die Senta von Anja Kampe. Dunkel ist ihr Sopran, ausgezeichnet verankert in der Tiefe, in der Höhe aber doch etwas fahl, mit zu wenig Obertönen. Ihre grosse Ballade klang eigenartig verkrampft – mag sein, dass sich da Verspannung äussert, die sich in weiteren Abenden lockert. Vielleicht ist es aber auch der bedeutende musikalische Nachteil der Produktion, der hier besonders krass zum Ausdruck kommt. Um es auf einen einfachen Punkt zubringen: viel zu laut das Ganze, da wird gebrüllt und geschrien, als wären wir tatsächlich in der guten alten Oper.
Druck von innen
Denkbar, dass Bryn Terfel, der sich mit ganzem Können im Zaum hielt, zwischendurch aber einfach loslassen musste, an der Premiere einen zu hohen Grundpegel vorgegeben hat und dass der junge Dirigent Alain Altinoglu nicht in der Lage war, die Gewichtsverteilung mit ausreichender Nachdrücklichkeit zu kontrollieren – nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Zürcher Oper ein kleines Haus ist. Der von Jürg Hämmerli vorbereitete Chor klang ausgezeichnet in den Männerstimmen und durch viel zu viel Vibrato verwaschen bei den Damen. Das Orchester wiederum, das jetzt viel griffiger als früher Philharmonia heisst, wirkte noch nicht ganz in seinem Element, es bot manche noch rohe Stelle. Keine Frage, dass Alain Altinoglu in seine Aufgabe hineinwachsen wird; fürs Erste fehlte seiner Auslegung noch jene Geschmeidigkeit der Tempi, die das Geschehen voranbringt. Das Vorspiel zum ersten Aufzug mit seiner klaren Tempostruktur und den sorgfältigen Nuancierungen liess jedoch erkennen, wohin die Reise gehen könnte.