Spuk im Opernhaus

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (11.12.2012)

Der fliegende Holländer, 09.12.2012, Zürich

Mit Wagners «Fliegendem Holländer» hat sich Opernhaus-Intendant Andreas Homoki den Zürchern nun auch als Regisseur vorgestellt. Und dabei vieles richtig gemacht.

Es spukt im Kontor des Seefahrers Daland. Die Lampen flackern, die zuvor so geschäftigen Bürolisten werden in eine Art Zeitlupe gebannt und erwachen danach wie aus einem Albtraum. Der Boden scheint zu schwanken, obwohl man von aussen nichts davon sieht. Und dann ist da plötzlich diese seltsame Gestalt im bodenlangen schwarzen Pelzmantel, mit schwarzen Furchen im blassen Gesicht und einem Blick, der einen schaudern lässt. Noch scheint ihn nur das Publikum zu sehen. Aber die auf der Bühne spüren, dass er da ist.

Andreas Homoki zeigt also wieder einmal einen Holländer, wie es sich gehört. Keinen Cyborg, keinen Scherzkeks, keinen Irren, sondern eine Spukgestalt, die plötzlich verschwinden und an ganz anderer Stelle wieder auftauchen kann. Einen Wiedergänger, der schwer trägt an der Last seines Loses, das ihn zwingt, bis in alle Ewigkeit über die Meere zu fahren, bis ihn eine Frau mit ihrer Treue erlöst. Sogar sein Schiff ist in dieser Aufführung zu sehen, wenigstens auf jenem Meergemälde in Dalands Kontor, auf dem immer wieder ein Sturm losgeht.Was auch immer das Regietheater mit dieser frühesten der berühmten Wagner-Opern angestellt hat, hier wird es rückgängig gemacht. Nicht nur der Holländer hat zu seinem ursprünglichen Schicksal zurückgefunden, auch Sentas Verlobter Erik (Marko Jentsch) ist wieder ein echter Jäger im grünen Gewand. Und wenn ihn die Bürolisten auslachen, klopfen sie sich in präzis choreografierten (und grossartig gesungenen) Massenszenen auf die Schenkel dabei.

Reizend altmodisch

Man könnte sagen, dass dieser «Fliegende Holländer» fast so altmodisch wirkt wie das dunkel getäferte Kontor, das Homokis langjähriger Bühnenbildner Wolfgang Gussmann gebaut hat. Das ist in diesem Fall allerdings als Kompliment gemeint: Denn es macht den Reiz dieses Abends aus, dass er sich eben gerade nicht nach dem Modischen richtet, sondern der Geschichte, den Figuren, der Musik vertraut.

Das heisst nun nicht, dass Homoki Wagner durchgehend beim Wort genommen hätte. «Ich glaube nicht, dass das Theater verpflichtet ist, sich aus lauter Liebe zur Werktreue lächerlich zu machen», sagt er in einem Interview im Programmheft. Also bleibt seine Inszenierung im Unterschied zum Original auf dem Trockenen; wenn der Steuermann (Fabio Trümpy) Bescheid wissen will über den Südwind, braucht er das Telefon. Man darf in solchen Momenten die Übertitelungen nicht allzu genau mitlesen; denn auch wenn man sich in diesem Kontor mit der Seefahrt beschäftigt, so gibt es hier halt doch keine Matrosen und kein gülden Band, das sie dem Mädel zu Hause mitbringen könnten.

Man kann davon ausgehen, dass Homoki solche Unstimmigkeiten bewusst in Kauf genommen hat. So wie er seine erste Zürcher Inszenierung überhaupt sehr sorgfältig geplant hat: Er hat nicht nur das richtige Werk ausgesucht, nämlich die zugänglichste Oper eines zentralen Komponisten; er hat auch sein Team geschickt zusammengestellt. Im Graben steht nicht sein Generalmusikdirektor Fabio Luisi (die beiden Chefs arbeiten in dieser Saison nicht zusammen, damit an möglichst vielen Produktionen wenigstens einer von ihnen beteiligt ist). Aber mit dem 37-jährigen Pariser Alain Altinoglu stellt sich einer der interessantesten Dirigenten seiner Generation den Zürchern vor.

Der «Holländer» ist Altinoglus erster Wagner, und bei der Ouvertüre sind die Startschwierigkeiten noch zu hören. Da wollen sich die verschiedenen Motive und Stimmungen nicht so recht verschmelzen lassen, wie Bauklötze werden sie aneinandergereiht und übereinandergeschichtet. Aber im Laufe des Abends wechselt die Philharmonie Zürich, wie das Opernorchester seit dieser Saison heisst, zunehmend geschmeidig zwischen den Welten hin und her, die hier weit auseinanderliegen: Sehr unheimlich brodeln die Bässe, wenn der Holländer auftaucht. Und sehr lüpfig klingt das Tänzchen, mit dem Daland die Verkuppelung seiner Tochter Senta mit dem reichen Fremden feiert.

Internationaler Luxus

Matti Salminen tanzt hier zwar nicht wirklich. Aber auch er passt perfekt in Homokis Konzept, nicht nur als schauspielerisch souveräner Sänger, sondern auch als Anker in vergangenen Zeiten: Schliesslich hat er den Daland schon mehrfach auf dieser Bühne gesungen. Die beiden anderen Protagonisten dagegen sind neu hier - und purer internationaler Luxus. Bryn Terfel und Anja Kampe, die sich schon im Londoner Covent Garden als Holländer und Senta gegenüberstanden, gelten als Traumbesetzung, und sie sprengen mit ihren Stimmen und ihrer Präsenz fast den Raum.

Terfel schafft es, sich wendig über die Bühne und durch die Partitur zu bewegen und dabei doch verlangsamt zu wirken. Wie er den Kopf dreht, wie er die Schlusskonsonanten setzt - das wirkt tatsächlich gespenstisch. Und wenn er zwischendrin seine Opernstimme in ein vibratoloses Röhren übergehen lässt, läuft es nicht nur Senta kalt den Rücken hinunter. Senta ihrerseits zeigt schon mit ihrem ersten Ton, dass ihr der Platz hinter der Schreibmaschine im väterlichen Kontor zu eng ist. So laut Anja Kampe zuweilen singt, man hat stets den Eindruck, sie hätte noch unerschöpfliche Reserven: an Klang, an Atem, an Ausdruck.

Die beiden sind ein starkes Paar - vor allem, solange sie noch keines sind. Wenn der Holländer im dritten Aufzug seinen von Susana Mendoza entworfenen Pelzmantel ablegt und sich damit vom Gespenst in einen Bräutigam verwandelt, ist nicht nur der Spuk vorbei, sondern auch der Zauber der Aufführung. Wie sich die beiden dann herzen und umarmen vor dem Ledersofa, wie sie sich an den Händen halten und im Kreis drehen - das würde selbst in einem Singspiel kindisch wirken. Zwar versucht Homoki auch danach noch einmal, die Atmosphäre ins Ungemütliche zurückzulenken, aber das geht schief: Die Geister des Kolonialismus, die er mit einem Voodoo-Tänzer und einer brennenden Afrikakarte ruft, hätte er besser ruhen lassen.

Nach Zürich in Mailand

Am Ende gabs viel Applaus und einzelne Buhs - Homoki kann zufrieden sein. «Gute Unterhaltung», hatte er dem Premierenpublikum im TV-Showmaster-Stil gewünscht, und gute, nämlich temporeiche, sorgfältig gestaltete und vokal hochkarätige Unterhaltung bekommt man in dieser Aufführung.

Übrigens nicht nur in Zürich: Ende Februar wird die Inszenierung mit teilweise anderer Besetzung und anderem Dirigenten von der Mailänder Scala übernommen. So hält sich Homoki zwar an das für seine erste Zürcher Saison ausgemachte Verbot, anderswo zu inszenieren, aber er bleibt dennoch international präsent. Seine Währung mag eine andere sein als jene seines Vorgängers Alexander Pereira - aber kalkulieren kann auch er.