Der Fliegende Holländer im Büro

Wolfgang Bager, Südkurier (11.12.2012)

Der fliegende Holländer, 09.12.2012, Zürich

Am Opernhaus Zürich zeigt Intendant Andreas Homoki seine erste Inszenierung

Verdammt zur ewigen Fahrt auf den Weltmeeren und ein Kapitän, der nur durch die Treue eines liebend Weibes erlöst werden kann, das ist so recht nach dem Geschmack der Literaten des 19. Jahrhunderts, die in der rationalen Welt der beginnenden Industrialisierung eine geheimnisumwitterte, sagenumwobene Gegenwelt suchten. Wilhelm Hauff, Heinrich Heine und auch Edgar Allan Poe haben die Geschichte vom Geisterschiff in ihrem Programm. Richard Wagner kannte sie alle und er hat sie mit seinem Werk „Der fliegende Holländer“ unsterblich gemacht. Er spinnt die Sage weiter, reichert sie an mit eigenen traumatischen Erfahrungen einer stürmischen Seefahrt und einer ihm treulos gewordenen Ehefrau.

So zahlreich die Bearbeiter der Legende, so zahlreich auch die Interpretationen. Was ist in den vergangenen Jahren nicht alles hineingelegt worden in diesen Holländer. Freud'sche Traumdeutung (Claus Guth in Bayreuth 2003), ökologisches Endzeit-Szenario (David Pountney in Zürich 2004), Globalisierungskritik und Börsencrash (Calixto Bieito in Stuttgart 2008) oder einfach nur der gruselige Schauerroman (Philipp Stölzl in Basel 2009).

Und nun also Zürichs neuer Opernintendant Andreas Homoki mit seiner ersten Inszenierung am eigenen Haus. Die Erwartungen sind hoch und sie werden schon erfüllt in dem Augenblick, wenn sich der schwere rote Vorhang öffnet. Zumindest optisch. Zu sehen gibt es den opulenten Nachbau eines Reederei-Kontors. Hier gehen die Schiffsmeldungen ein, eine Weltkarte informiert über den jeweiligen Standort der Flotte, es herrscht emsiges Treiben, zahlreiche Aktenordner belegen, dass hier auch ordentlich verwaltet wird, massive dunkle Holzvertäfelung verkündet Wohlstand, eine große Uhr, zeigt, was es geschlagen hat. Wir befinden uns im 19. Jahrhundert.

Das könnte spannend werden. Doch offenbar haben sich Regisseur Homoki und sein Bühnenbildner Wolfgang Gussmann bereits so verausgabt, dass sich in den übrigen zwei Stunden und 20 Minuten nicht mehr viel tut. Wagners wechselnde Schauplätze, von der norwegischen Felsenküste, über die Schiffsbrücke, das traute Heim von Kapitän Daland bis hin zur biedermeierlichen Spinnstube von Töchterchen Senta – das alles wird nun ins Büro eingesperrt. Auf einer abstrahierten, die Fantasie des Zuschauers anregenden Bühne wäre auch das kein Problem. Doch eine so aufwändig gebaute naturalistische Szenerie lässt eben keinen Raum für eigene Bilder. Zu groß wird hier die Schere zwischen der gezeigten und der besungenen Handlung.

So wie Senta ausbrechen will aus der engen Welt ihres materialistisch-bürgerlichen Vaters und ihres spießigen Verlobten im grünen Jägerwams und von der Begegnung mit dem Irrationalen träumt, so sehnt sich der Zuschauer bald nach etwas Abwechslung auf der Bühne. Dass sich das riesige Kontor ab und zu um sich selbst dreht, bringt keine Erlösung, es sieht von allen Seiten gleich aus. Hier irren sie umher, die handelnden Personen, alleingelassen von der Regie. Allenfalls die geschickt erzeugte Illusion von der Allgegenwart des Holländers oder die choreografierten Bewegungen des Opernchores machen da eine Ausnahme.

Doch plötzlich wird alles anders. Als ob sich Regisseur Homoki sich nun schlagartig der interpretatorischen Defizite seiner Arbeit bewusst geworden wäre, kommt Aufruhr ins beschauliche Kontor. Der Mohr (Nelson Egede), den man als Diener aus Afrika mitgebracht hat, entledigt sich seiner Uniform und lehrt mit Speer und wilder Kriegsbemalung die Büromenschen das Fürchten, die Landkarte Afrikas geht in Flammen auf. Aha, die Dritte Welt schlägt zurück. Jetzt wird auch klar, warum der geheimnisvolle Holländer im Gesicht bemalt ist und fetischähnlichen Federschmuck am Hut trägt. Es werden Schamanen gewesen sein, die ihn und sein Schiff für die kolonialistischen Plünderungstouren mit Fluch belegten. Der Interpretationskette wäre somit noch das Dritte-Welt-Drama anzufügen. Doch so plump und unvermittelt wie Homoki das auf die Bühne stellt, wirkt dieser Einfall nur wie ein Fremdkörper, klischeehaft, banal und lächerlich.

Auf hohem Niveau dagegen die musikalischen Leistungen. Dirigent Alain Altinoglu steuert sein Orchesterschiff gleichermaßen behutsam wie temperamentvoll durch die Klippen der Partitur. Immer ausgewogen und nuancenreich im Abgleich der leisen und der lauten Töne. Allenfalls Sentas Erzählung vom Holländer legt er etwas schleppend an, vielleicht zu schwer für die träumerische Leichtigkeit dieser Passage. Sonst gibt sich Altinoglu sehr sängerfreundlich, nie wird das Orchester zu mächtig, aber der Stimmgewalt der Solisten könnte auch das nichts anhaben. Anja Kampe in ihrem Rollendebüt als Senta macht eher den Eindruck, als könnte sie ein ganzes Sinfonieorchester nieder singen. Wunderbar sicher, mit schöner, für das kleine Zürcher Opernhaus fast zu großer Stimme versucht sie den Fluch des Holländers zu brechen. Auch szenisch nützt sie den schmalen Raum, den ihr die Regie lässt. Bei Matti Salminen hört man inzwischen, dass er den Daland seit Jahrzehnten singt, mit all den Vor- und Nachteilen, die Routine und Erfahrung so mit sich bringen.

Liliana Nikiteanu (Mary), Marko Jentzsch (Erik) und Fabio Trümpy (Steuermann) erfüllen ihre Aufgaben tadellos. Und dann dieser Holländer. Intendant Homoki ist zu Recht stolz, dass ihm diese Besetzung der Titelrolle geglückt ist. Der walisische Weltstar Bryn Terfel begeistert als Holländer mit der sonoren, stets zivilisiert-gebändigten Kraft seiner Stimme. Gefühlvoll oder gewaltig, immer wohl dosiert über die volle Distanz. Die Opernhäuser der Welt können nach diesem Zürcher Debüt getrost einen neuen Holländer in ihr Rollenverzeichnis aufnehmen.

Viel Beifall für das gesamte Team, und einige Buhrufe für die Regie.