Christian Berzins, Neue Luzerner Zeitung (12.12.2012)
Der neue Hausherr am Opernhaus Zürich zeigt seine erste Inszenierung. In Wagners «Fliegendem Holländer» dominiert ein Sängerhüne.
Als Zürichs Opernintendant Andreas Homoki zu Beginn des Abends vor den Vorhang trat, war er zappelig heiter gestimmt. Als er zweieinhalb Stunden später erneut auf die Bühne eilte, war sein Gesicht angespannt nervös. Kein Wunder: Aus dem Operndirektor war der Künstler geworden – ein risikoreicher Spagat, jeder weiss, dass die Premierenbesucher Regisseure gerne ausbuhen, wenn sie eine Unterhose zu viel oder einen Schwan zu wenig auf der Bühne sehen. Würden sie auch gegen den neuen Hausherrn ausfällig werden?
Gründe genug hätten sie gehabt, gibt es doch in Homokis «Fliegendem Holländer» einiges «zu wenig» und anderes «zu viel». Von einem Schiff konnte man da nur träumen. Und als Senta sich in ihrer Ballade die Kleider vom Leib riss, verliessen prompt zwei Parkettbesucher das Haus. Eine Fussnote? Homoki ist überzeugt, dass er mit dieser Deutung seinem Credo, Geschichten für alle zu erzählen, nahe kommt.
Nichts von Seemannsromantik
Richard Wagners Oper über den Seemann, den nur eine treue Frau aus ewiger Verdammnis erlösen kann, versetzt er in die Zeit des ausbeuterischen Kolonialismus. Wenig bleibt von der schauerlich-schönen Seemannsromantik, Homoki lässt die ganzen 150 Minuten im Kontor Dalands spielen. Dieser Seefahrer macht sich die Hände schon lange nicht mehr auf Schiffen dreckig, mit seiner Flotte verkehrt er per Telefon. Vom Meer sieht man bisweilen ein paar alte Ölbilder, entscheidender ist aber die Afrika-Karte an der Wand – hier gibts Gold und Geld zu holen.
Doch das Land wartet auch mit Überraschungen auf, wie das zweitletzte Bild zeigt, als plötzlich Dalands schwarzer Diener zum afrikanischen Krieger mutiert und die Imperialisten mit Pfeil und Bogen niederstreckt. Es ist allerdings eine dramaturgische Kopfidee, die als Handlungselement aufgesetzt wirkt.
Wie King Kong
Immerhin: Diesem Holländer merkt man an, dass er sein Leben in Sturm und Wetter, wenn nicht gar in Höllenabgründen, verbringt. Tritt Weltstar Bryn Terfel auf die Bühne, bebt die kleine Opernwelt, das stolze Zürcher Opernhaus scheint zu klein für ihn. Der furchteinflössende Hüne bringt die rationale Bürowelt durcheinander. Wie King Kong steht er da – hätte er nicht die Taschen voller Juwelen, Daland liesse ihn glatt erschiessen. Nur die weisse Frau, Senta, wird ihn verstehen, ihm Treue schwören. Die zwei sind füreinander bestimmt.
Doch als Senta von Erik daran erinnert wird, dass sie auch ihm einst Treue schwur, wird sie aus dem Liebestraum gerissen. Der Holländer merkts – und weg ist er. Zu viel für die schon immer labile Senta: Sie entreisst Erik sein Gewehr und richtet sich selbst. Im Gegensatz zum vorgesehenen Sprung vom Felsen ins Meer ist das ein geradezu banaler Schluss, der leider bald auf allen Bühnen zum Standard wird.
Weltstar Terfel: Fluch und Segen
So aktiv die Personenführung, so statisch und mit der Zeit lähmend wirkt das Einheitsbühnenbild von Wolfgang Gussmann. Doch solange darin Bryn Terfel agiert, ist das fast egal. Dieser Sängerdarsteller ist mit seiner vermeintlich von Wetter und Wind geprägten, furchigen Persönlichkeit ein Sinnbild der alten Opernwelt, in der einst in den immer gleichen Bühnenbildern Individuen triumphierten. In Zürich aber wurde eine moderne Inszenierung um ihn herum gebaut. Was wäre sie ohne ihn, fragt man bange.
Singend ist Terfel keine Orchesterklippe zu hoch beziehungsweise zu laut, kein Piano zu zart – kein deutsches Wort zu kompliziert. Dass es sein Hausdebüt ist, merkt man ihm nicht an. Anja Kampe (Senta) schon eher. Nachdem ihr in der Ballade der erste Ton misslingt, dreht sie zur Sicherheit auf. Eine zarte Seite gibt es nicht, umso mächtiger ist sie als Heroin. Ein weiteres interessantes Hausdebüt gelingt Marko Jentzsch (Erik), obwohl er etwas überhastet wirkt.
Am Ende doch ein Triumph
Fast halb so alt wie Salminen ist Dirigent Alain Altinoglu, dennoch wird er schon weltweit herumgereicht. Und doch fragt man sich schon während der Ouvertüre: Hat er einfach viel Zeit oder eventuell doch Angst? Es ist alles hübsch ausgestaltet, aber bisweilen so klar und kräftig, dass man sich um den Sog, um den in die Weite führenden Klang sorgt.
Zum Schluss geht das Erlösungsmotiv in der Szene unter, die Oper verklingt abrupt. Und so war denn das Publikum nach Vorhangfall erst mal einen Moment perplex. Doch als der erste Vorhang aufging, wurde schnell klar: Ein Triumph! Daran änderten auch die paar Buhs gegen Hausherr Homoki nichts mehr.