Maske und Wahrheit

Herbert Büttiker, Der Landbote (17.12.2012)

Un Ballo in Maschera, 15.12.2012, Basel

Mit Verdis «Un ballo in maschera» geht der Einstieg ins Jubiläumsjahr weiter: Eine musikalisch inspirierte, szenisch profilierte Produktion der Oper bietet das Theater Basel.

Die musikalische Seite der jüngsten Basler Premiere lässt vielfach aufhorchen: Unter der Leitung von Giuliano Betta, 1. Kapellmeister des Theaters, klingt das Sinfonieorchester sonor, elastisch und im dramatischen Fluss packend. Was bei diesem «mittleren Verdi» sinfonisch so alles los ist, auch wo es um «Begleitung» geht (bei den Hörnern, um ein Beispiel zu nennen) – dafür hat die Aufführung eine begeisternde Wachheit.

Dies im Verein mit einem hervorragenden En­sem­ble auf der Bühne. Mit Riccardo Massi in der zentralen Partie des Riccardo steht eine italienische Tenorhoffung auf der Bühne, weitatmig, dunkel und warm grundierte Stimme mit Charisma, das sich noch weiter entfalten dürfte, wenn die Rolle, die er jetzt zum ersten Mal singt, völlig einverleibt ist. Da wäre dann auch noch entschiedenere darstellerische Ausdruckskraft zu finden. Solche zeigt der Bariton Eung Kwang Lee, Mitglied des Baslers En­sem­bles, mit geballter Ener­gie­ bis an die Grenze des Klischeehaften, aber auch Sensibilität und stimmlicher Differenziertheit für die grosse Kantilene zeichnen seinen Renato aus.

Musikalische Präsenz, die in der gelebten Bühnenfigur imponierend aufgeht, erlebt man bei der Koreanerin Seyoung Seo: Dass eine Amelia nach dem überwältigenden zweiten Akt mit der lyrischen Arie ebenso fesselt, ist nicht selbstverständlich. Stark besetzt im Kontrast des Stimmenkonzerts sind die beiden anderen Frauen mit Tatjana Charalgina als Oscar, hier ein Cheerleader voller Pepp, und vor allem mit Sanja Anastasia mit wuchtigem und präzisem Mezzosopran für die weite Skala der Wahrsagerin Ulrica.

Halloween statt Hofball

Gehört sängerisches Format von Prot­ago­nis­ten auch zum szenischen, so gilt das auch für den Chor des Basler Theaters, und hier speziell auch für das weitere musikalische Aufgebot in der Ballszene des letzten Aktes. Die Banda spielt in Partybeleuchtung sichtbar auf der Seitenbühne wenigstens für einen Teil des Publikums, und zentral postiert spielt das Streichquintett zum letzten Tanz auf – das Inszenierungsteam mit Vera Nemirova (Regie), Werner Hutterli (Bühne) und Birgit Hutter (Kostüme) bietet hier opulente Oper, wobei der barocke Hofball als Halloweenparty daherkommt und die in der Inszenierung schon zuvor allgegenwärtige Todesmetaphorik noch einmal bunt illuminiert.

Verdis ursprüngliche Absicht – das Attentat auf den schwedischen König Gustav III. auf einem Ball in der Stockholmer Oper von 1792 auf die Bühne zu bringen – ist für die meisten Regisseure heute der Ausgangspunkt. Nicht so für Nemirova. Sie hält sich an die Fassung der Römer Uraufführung von 1859, die aus Zensurgründen die Handlung nach Amerika verlegte und aus Gustavo einen jovial-absolutistischen Gouverneur im Boston des ausgehenden 17. Jahrhunderts machte. Hier nun haben wir es mit einem Amerika des 20. Jahrhunderts zu tun und mit einem kaum verortbaren dubiosen Provinzpolitiker. Abgehandelt wird die politische Dimension niederschwellig und diffus auf der Ebene von Mafia-Klüngelei und Golfklub-Bündelei.

Unterbelichtet bleibt so wohl die Figur Riccardos als eines Staatsmannes, dessen Ideale an der menschlichen Natur, vor allem auch seiner eigenen tragisch scheitern – ein universelles Malaise: Man hört die erschütternde Klage dar­über im Finale. Aber das Stück mit seinen grimassierenden Zügen voller leichter Musik hat viele Zugänge. Maske und Wahrheit ist in Basel ein Stichwort, Liebe und Tod ein anderes.

Liebe und Tod

Verdis Liebesduett unter dem Galgen – auch das Libretto geht ja unzimperlich mit szenischer Symbolik um. In Basel nun steigen zum ekstatischen Fortissimo des «Sì, t’amo» gleich die Toten aus ihren Särgen; Amelias und Renatos Kind läuft in Totenkopfmaske zum Ball, und hier sehen wir Riccardo dekoriert mit schwarzen Engelsflügeln, aber – wider die szenische Logik – ohne Maske. In der (auch starken) erzählerischen Realistik nimmt sich die Regie Freiheiten heraus, aber meist verbunden mit unmittelbarer Evidenz auf der Sinnebene. Für das virulente Hauptthema in der Variante einer hellen Fassade und eines düsteren Innenraums hat Werner Hutterli ein ingeniöses Bühnenbild geschaffen: Die Fassade der Villa, in der Riccardo und als Nachbar Renato residieren, ist eine reine Kulisse. Wenn sich die Bühne dreht, wird die Gerüstkonstruktion des Blendwerks zum Schauplatz für die abgründigen Szenerien, in denen es um Liebe und Tod geht.