Der Maskenball als Totentanz

Christian Fluri, Mittelland-Zeitung (17.12.2012)

Un Ballo in Maschera, 15.12.2012, Basel

Verdis «Un ballo in maschera» am Theater Basel: Regisseurin Vera Nemirova erzählt in berührenden, heutigen Bildern.

Eine Gesellschaft von Mächtigen tanzt über dem Abgrund. In abgestumpften Männlichkeitsritualen feiert sie sich selbst. Gierig auf Skandal, holt sie Privates ins Politische und macht das Politische zum Privaten. Davon erzählt Giuseppe Verdis Oper «Un ballo in maschera», eine tödliche Dreiecksgeschichte. Vera Nemirova, die erstmals am Theater Basel Regie führt, liest den 1859 uraufgeführten «Maskenball» als eine Geschichte aus unserer Gegenwart. Ihre berührende, bilderreiche Inszenierung wurde vom Premierenpublikum gefeiert.

Nemirova entschied sich für die Bostoner Fassung, die nicht den historisch konkreten Königsmord verhandelt («Nordwestschweiz» vom 14. Dezember) und wählt als Spielort ein fiktives Amerika, das gerade so gut bei uns sein könnte. Werner Hutterlis Bühne ist eine beeindruckende Metapher. Wir blicken auf eine prachtvolle Fassade klassizistischer Villen. Dreht die Bühne, klafft dahinter eine dunkle Leere. Ein Ort des Todes, der Intrigen, männlicher Perversionen. Und ein Ort, wohin die Gesellschaft ihr Elend verdrängt.

Jede Figur genau gezeichnet

Nemirova gibt den Figuren scharfe Konturen, macht deren Inneres – das, was Verdis Musik erzählt – sichtbar und formt sie detailgenau zu lebendigen Menschen. Sie greift dabei geschickt in den Fundus der Filmgeschichte. Staatsherr Riccardo wird bejubelt wie ein Filmstar, dies nur um der Feier willen. Mitten unter Riccardos Freunden treiben die Verschwörer, die ihn umbringen wollen, ihr böses Spiel. Alles ist einerlei, alles ist Party. Angetrieben wird diese durch den als Majorette auftretenden Oscar, die schillernde Verkörperung des leeren Amusements. Riccardo ist ein desillusionierter Machthaber. Lebenssinn gibt ihm nur die verbotene Liebe zu Amelia, der Frau Renatos, seines wahren Freundes und Beschützers.

Die Wahrsagerin Ulrica ist bei Nemirova eine Seherin, die in die Menschen hineinschaut. Sie hilft armen Frauen und Kindern bei der Suche nach ihren im Krieg verlorenen Männern und Vätern. Sie erkennt, wie Amelia an der chancenlosen Liebe zu Riccardo leidet. Sie ist hier mitfühlendes, die Katastrophe voraussehendes Bindeglied zwischen den Liebenden.

Nemirova liest Verdis Musik zum innigen Liebesduett von Riccardo und Amelia richtig als einzigen Hoffnungsschimmer. Die Liebe weckt hier gar Tote zum Leben. Doch nicht lange, denn die Verschwörer ziehen heran: Figuren wie aus dem Italowestern kommen mit ihren Rockerkumpels. Ein starkes Bild für das abgründig Männerbündlerische. Grinsend decken sie die verbotene Liebe auf, wecken Renatos Hass, der sich am Maskenball im Mord an Riccardo entlädt. Der Maskenball selbst ist als schauerlicher Totentanz inszeniert – mit Oscar als Sensenmann. Der Mord setzt aller Liebe, aller Menschlichkeit ein Ende. Am Schluss drehen im leeren Raum die Lichterkugeln. Wo sich Menschlichkeit in der Party auflöst, ist der Tod.

Gute gesangliche Leistung

Einzig Verdis grossartige Musik vermittelt ein Stück Hoffnung. In lichten Momenten lässt Dirigent Giuliano Betta das Sinfonieorchester Basel farbenreich strahlen. Und der Trauer gibt es mit klanglicher Kraft bewegenden Ausdruck. Was bei Betta fehlt, sind Schärfen, so die grauenvolle Kälte im Verschwörerensemble. Hier macht der stark gestaltende Theaterchor vieles wett. Gut in den Chor fügen sich die Kinder der Knaben- und Mädchenkantorei ein.

«Un ballo in maschera» in Basel ist auch ein Abend bewegenden Verdi-Gesangs – mit leichten Abstrichen. Bariton Eung Kwang Lee füllt ganz die Rolle Renatos zwischen menschlicher Wärme und Hass. Riccardo Massi lässt seinen Tenor schön fliessen, hat aber Höhenprobleme. Seine Selbststilisierung passt zur Rolle. Sunyoung Seo ist eine Amelia der grossen Gefühle mit berückendem Piano, aber leichten Schärfen im Forte. Mit ergreifend dunkler Farbe singt Altistin Sanja Anastasia die Ulrica. Mit Verve, aber auch viel Druck gestaltet Tatjana Charalgina den Oscar. Alexey Birkus und Gustav Belacek geben die Verschwörer in ihrer ganzen Menschenverachtung. Da ist die Kälte, die ein Grundton dieser Oper ist.