Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (20.12.2012)
Das Verdi-Jahr 2013 wirft seine Schatten voraus: Am Theater Basel hat die Oper «Un Ballo in Maschera» in einer sehenswerten Inszenierung von Vera Nemirova Premiere gefeiert.
So herzergreifend singen Amelia und Riccardo ihr Liebesduett im zweiten Akt, dass selbst die Toten auferstehen und wie Zombies in den Kreis ihrer Familien zurückkehren dürfen. Es wurde nicht ganz klar, was Regisseurin Vera Nemirova damit sagen wollte. Ansonsten hielt sie sich in ihrer vielfältig mit den Themen komplexen von Masken, Fassaden und Verstecken spielenden Inszenierung am Theater Basel aber weit gehend an die Vorgabe von Giuseppe Verdi: Riccardo, ein Herrscher, liebt die Frau seines besten Freundes Renato. Er trifft sie zum amourösen Rendezvous auf einem unheimlichen Friedhof, wird dabei von den Verschwörern, die ihm nach dem Leben trachten, überrascht und von Renato gerettet; der muss dem Herrscher versprechen, die Frau unerkannt in die Stadt zurückzubringen.
Das will Renato auch tun, aber die Maske fällt dann unter dem Druck der Verschwörer doch noch, was ihn begreiflicherweise in Rage versetzt. Zu Hause zertrümmert er die Möbel, die Spielsachen seines Sohnes ebenso, schmeisst Bettzeug und Garderobe seiner Frau aus dem Fenster, bis er sich klar wird, dass er eigentlich nicht sie, sondern Riccardo mit dem Tod bestrafen sollte – was auf dem Maskenball dann auch geschieht.
Mitreissender Renato
In dieser grossen Bariton-Szene lief Eung Kwang Lee als Renato zu bestechender Form auf, zog alle Register seiner wandelbaren Stimme, um die Wut des Betrogenen, aber auch die Süsse der Erinnerungen und die Liebe zu seinem Kind suggestiv auszudrücken. Dabei hatte Verdi gerade hier ziemlich nichtssagende, konventionelle Melodien und eine schematische Begleitung geschrieben. Umso verdienstvoller also die Leistung des koreanischen Baritons.
Weit ambitioniertere Musik erhielt Amelia, die ähnlich hin- und hergerissen wird zwischen den beiden Männern, zwischen ihrer Liebe und den konventionellen Pflichten als Ehefrau und Mutter. Und auch die Amerikanerin Mary Elizabeth Williams drehte in der Dienstagsvorstellung mächtig auf, gab dieser vielschichtigen Frauenfigur Konturen, Farben und eine berührende Intensität. Eher blass blieb dagegen der Tenor Riccardo Massi als Herrscher Riccardo, der zwar sein weiches Timbre beeindruckend einsetzte, aber nie zu strahlenden Tenor-Höhen ab heben konnte.
In den kleineren Rollen wuchs das Ensemble nicht über den Durchschnitt hinaus. Am Pult des Sinfonie orchesters Basel hatte Giuliano Betta die Fäden – abgesehen von ein paar aus dem Ruder gelaufenen Chor-Einsätzen – gut in den Händen. SeinVerdi hatte Energie und Stringenz, aber auch den grossen Atem, und verschenkte nichts von den dramatischen Wirkungen der Partitur.
Bilder erzählen die Geschichte
Die Figuren auf der grossen Basler Bühne blieben trotz der anspielungsreichen Inszenierungsarbeit weit gehend sich selber überlassen. Das Drama ist nur ungefähr im Amerika der Sechzigerjahre angesiedelt (Verdi musste aus Zensurgründen die Geschichte der Ermordung des Schwedenkönigs Gustav III. in die amerikanische Provinz verlegen), und Regisseurin Nemirova erzählt ihre Geschichte lieber über Stimmungen, Dekors und anspielungsreiche Bilder – damit wurde sie vor allem Verdis Musik gerecht, weniger aber einer genuin theatralischen Personenführung.
Der Konflikt zwischen Öffentlichkeit und Privatem, zwischen Politik und Leidenschaft, der wie so oft bei Verdi auch im «Ballo in Maschera» zentrale Triebfeder der Handlung ist, kommt in markanten Bildern zum Tragen und wird durch die Drehbühne unterstützt, die auf der einen Seite die schöne Fassade eines weissen Präsidentenhauses, auf der anderen das oft hässlich-verzerrte Innere der Figuren zeigt. Vieles indes bleibt auch dunkel, was zum Teil Sinn macht, aber etwa auch für die farbigen Halloween-Kostüme des finalen Maskenballs gilt, die erst beim Schlussapplaus so richtig bewundert werden konnten.