Unterkühlte Emotionen am Königshof

Stefan Degen, Neue Luzerner Zeitung (22.03.2006)

La Favorite, 19.03.2006, Zürich

Marc Minkowski dirigiert «La Favorite» im Opernhaus Zürich musikalisch überaus spritzig. Szenisch überzeugen eindrückliche Bilder.

Arturo Toscanini nannte die Oper «durchwegs schön; der letzte Akt aber: jede Note ein Meisterwerk». Gaetano Donizetti schrieb «La Favorite» 1840 für die Pariser Opéra. Das Melodram ist ein Konglomerat aus bereits bestehenden Opern («L'ange de Nisida», «Le Duc d'Alba») und Opernfragmenten, weist aber dennoch eine erstaunliche stilistische Geschlossenheit auf. Die Titelheldin, Léonor de Guzman, ist die Mätresse von König Alphonse XI., die wiederum den Novizen Fernand liebt. Die Dreiecks-Liebesgeschichte, in der es in erster Linie um Ehre geht, spielt im Königreich Kastilien des 14. Jahrhunderts. Der Monarch und seine schöne, junge Favoritin sind historisch verbürgte Figuren.

Stimmige Atmosphäre

Donizetti gelang mit diesem Werk (in französischer Sprache) eine glückliche Verbindung zwischen italienischem und französischem Opernstil. Der belgische Regisseur Philippe Sireuil erzählt die Geschichte als «Traumvision» des Mönchs Fernand. Zwei Symbole prägen die Szenerie: ein Schiff in Form eines Walfischs und ein riesiges Schiffssegel. Bühnenbildner Vincent Lemaire schuf einen sakral-düsteren, rundlichen Einheitsraum mit dunkel verspiegelten Wänden. Die Lichtgestaltung (Hans-Rudolf Kunz) verleiht den Schauplätzen immer wieder eine stimmige Atmosphäre. Auch die sehr geschmackvollen Kostüme von Jorge Jara nehmen das spanische Kolorit dezent auf.

Kühl und berechnend

Der Regisseur versucht, die reichlich verworrene Geschichte ohne Pathos zu erzählen und «die Sänger als Emotionsträger zu stärken». Doch gerade hier hat die Inszenierung ihre Schwächen. Die Titelrolle vermag als Figur kaum zu überzeugen. Die Gefühle der Favoritin bleiben kühl. Das liegt teilweise auch an der Darstellerin. Vesselina Kasarova bleibt den ganzen Abend über seltsam distanziert, ihr Gesang vermag die Herzen nicht wirklich zu berühren. Vieles an ihrer Léonor ist manieriert. Ihre Mezzostimme führt die Kasarova ziemlich breit, und sie muss sich die Soprantöne erkämpfen. In der Mittellage überzeugt die Bulgarin dafür mit sattem, rundem Ton und differenzierten Klangfarben.

Die Männer gefallen mit stilsicherem Belcanto-Gesang. Der italienische Tenor Fabio Sartori gibt die zerrissene Figur des Fernand glaubhaft und singt dabei mit wunderbarem Schmelz. Ein Höhepunkt ist die berühmte Arie im vierten Akt, «Ange si pur». Roberto Servile als Alphonse verströmt mit seinem sicher geführten Bariton puren Wohllaut. Carlo Colombara verleiht dem Prior Balthazar Autorität und Bassschwärze.

Vom Barock zum Belcanto

Der Dirigent Marc Minkowski, der als Barockspezialist höchstes Ansehen geniesst, studierte in Zürich erstmals eine Belcanto-Oper ein. Und der Erfolg stellte sich nicht unerwartet ein: Der Franzose musiziert mit dem Orchester der Oper Zürich ungemein spannungsreich und mit schillernden Farben. Die Bläser (in grosser Besetzung) konnten mächtig auftrumpfen und intonierten lupenrein. Überaus präsent ist auch der Chor.

Für Paris durfte eine üppige Ballettmusik nicht fehlen: Minkowski verlegt einen Teil davon an den Anfang des zweiten Akts, brillant gespielt notabene, der Rest erklingt als Tanz-Divertissement. Die schräge Choreografie von Avi Kaiser stellt sich jedoch völlig quer zu Donizettis Melos: ein Ärgernis.

Das Premierenpublikum feierte Sänger und Dirigent ausgiebig, während das Regieteam nur mässigen Beifall erhielt. Dennoch: eine Belcanto-Rarität, die zu entdecken sich lohnt.