Rolf App, St. Galler Tagblatt (27.12.2012)
Am Theater St. Gallen hat mit der spritzig-komischen «Eine Nacht in Venedig» eine der bekanntesten Operetten von Johann Strauss in einer sehr kompakten Inszenierung Premiere gehabt.
In der Nacht vom 8. auf den 9. April 1878 stirbt Henriette Strauss an einem Schlaganfall. Zum ersten Mal in seinem Leben ist Johann Strauss einsam, er reagiert wie in Panik. Meldet sich krank, nimmt nicht am Begräbnis teil, zieht von seiner Villa in ein Hotel um. Und verliebt sich in Kürze wieder.
Eine neue Chefin für den Clan
Nur sieben Wochen nach dem Schicksalsschlag heiratet der 53-Jährige erneut. Doch Lily, seine zweite, diesmal jüngere Frau, verliebt sich anderweitig, und so trennen sie sich schon bald wieder. Die Lösung liegt nah, heisst Adele Strauss, ist Witwe und nicht verwandt mit dem Walzer- und Operettenkönig, den sie aber schon finanziell beraten hat. Und den sie nun heiratet. Adele übernimmt die Regie im Hause Strauss, das aus Johann und seinen Brüdern Josef und Eduard besteht. Sie nimmt auch ihren Mann in Obhut, der sich nur der Musik widmen soll und in den Beschreibungen seines Biographen Franz Endler ein grosser Egoist ist.
Inmitten dieser Turbulenzen entsteht mit der Operette «Eine Nacht in Venedig» eines seiner bekanntesten, von grosser Situationskomik und Heiterkeit geprägten Werke. 1883 hat sie in Berlin Premiere. Dem Berliner Publikum gefällt sie nicht, dem Wiener dann schon, und bis heute haben die Wiener recht behalten.
Jeder will jeden betrügen
Dass die Mischung von Verwechslungskomödie und Walzerseligkeit noch heute verfängt, hat die Premiere von «Eine Nacht in Venedig» am Theater St. Gallen gezeigt. Die Handlung mutet zwar in der Zusammenfassung reichlich kompliziert an, auf der Bühne freilich erschliesst sie sich sofort: Fast jeder und fast jede ist in dieser venezianischen Karnevalsnacht darauf aus, den eigenen Partner, die eigene Partnerin zu betrügen. Mittendrin aber sitzt als treibende Kraft Herzog Guido von Orbino (Carsten Süss).
Dieser Herzog lässt durch seinen Diener Caramello (Riccardo Botta) verkünden, er werde zum Karneval nach Venedig kommen. Man weiss, was das bedeutet: Der Herzog hat es auf Barbara Delacqua (Diana Dengler) abgesehen, deren Mann Bartholomeo Delacqua (Hansjörg Hack) sie deshalb verkleidet in Sicherheit bringen will. Doch Barbara hat anderes im Sinn, ihr Neffe Enrico Piselli (Julian Sigl) ist hinter ihr her, so dass sie sich von ihrer Freundin Annina (Simone Riksman) «vertreten» lässt.
Um deren Herz wiederum wirbt Caramello, der im Auftrag des Herzogs die Gondel mit der vermeintlichen Barbara entführt und zum Herzogspalast steuert. Dort soll die Verführung der Damen stattfinden.
Der Herzog wird abgelenkt
Denn schon bald sind es zwei, die der Herzog erobern will. Vergeblich, wie doch verraten werden darf. Zu Annina gesellt sich nämlich in des Herzogs Gemach noch Ciboletta (Sumi Kittelberger), die für ihren Geliebten, den Makkaronikoch Pappacoda (Roman Grübner), eine Stellung bei Hofe ergattern will. Zu zweit halten sie nun den Herzog auf Distanz, diskret unterstützt von Caramello.
Eigentlich ist es eine Satire auf die eigene, vergnügungssüchtige und nach der gescheiterten Revolution von 1848 politisch ruhiggestellte Zeit, die Johann Strauss da vertont hat und die in St. Gallen in der sehr frischen Fassung von Erich Wolfgang Korngold und Ernst Marischka aus den 1920er- Jahren gespielt wird. Die Operette, kurz zuvor in Paris von Jacques Offenbach erfunden, findet in Johann Strauss ihren Meister.
Sein enormer Melodienreichtum zeigt sich schon in der Ouverture, auch punkto Instrumentierung lässt Strauss sich unablässig Neues einfallen, was auch den Respekt von Komponistenkollegen wie etwa Johannes Brahms findet. Man spürt, dass dieser Mann über Jahrzehnte gelernt hat, mit seiner Walzertruppe in den Wiener Konzertsälen ein anspruchsvolles und leicht ablenkbares Publikum bei Laune zu halten – in den Anfängen notabene gegen die Konkurrenz des Vaters (siehe nebenstehenden Text).
Wenn der Herzog im Bade sitzt
Das St. Galler Sinfonieorchester geht unter der Leitung von Vinzenz Praxmarer mit leichter, aber sehr präziser Hand zur Sache, leicht kommt vor dem stimmungsvollen, historisierenden Bühnenbild von Karin Fritz und in prachtvollen Kostümen (von Marion Steiner) auch die Inszenierung von Cusch Jung daher.
Jung arbeitet vor allem das Situationskomische vieler Szenen heraus, etwa wenn der Herzog, noch in der Badewanne sitzend, den Besuch einiger Damen unter Führung von des Senators Barburiccio (Diethelm Stix) Gattin Agricola (Gergana Geleva) empfängt. Oder wenn er, mit schon etwas ramponierter Perücke, das Ende in Würde zu absolvieren trachtet. Denn auch die Macht dieses Mächtigen hat ihre Grenzen.
Damit ist angedeutet, worauf es in «Eine Nacht in Venedig» ankommt: Darauf, dass nicht nur gut gesungen, sondern auch gut gespielt wird. Auch dank der stark in die Handlung integrierten Chöre – neben dem Theaterchor ist der Theaterchor Winterthur im Einsatz, in den Zwischenspielen überdies die zu Recht mit Applaus bedachte Tanzkompagnie – entsteht von Anfang an ein starker Handlungssog, in dem sich die stimmlich wie vom Typ her gut besetzten Rollenträger gut entfalten können. Im Zentrum stehen der bewährte Carsten Süss als schlau-verführerischer Herzog, Riccardo Botta als leichtlebiger Caramello und Simone Riksman als temperamentvolle Annina, die sich nichts bieten lässt.
Strauss liest nicht
Zu den Eigenheiten von Johann Strauss hat übrigens gehört, dass er keine Bücher gelesen hat, auch keine Librettos. Trotzdem wirkt «Eine Nacht in Venedig», als wäre es aus einem Guss – dank seines musikalischen Genies.