Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (05.02.2013)
Man könnte im neuen «Rigoletto» am Zürcher Opernhaus einen Kommentar zur aktuellen Sexismusdebatte sehen. Aber die in jeder Hinsicht gelungene Verdi-Aufführung bietet viel mehr.
Teenager-Töchter sind bekanntlich eine seltsame Spezies. Sie lassen sich gerne Nutella-Brötchen schmieren und tragen neonrosa Ballerinas, sie kuscheln sich an den Vater und würden für einen hübschen Jüngling selbst das Leben geben. Manchmal, vor allem wenn sie Opern-Teenager sind, tun sie es tatsächlich.
So wie Gilda, die Tochter des Hofnarren Rigoletto. Man versteht ja gut, dass ihr Vater sie behüten will (er übertreibt nur ein bisschen dabei). Man versteht auch, dass der Herzog ihr nachsteigt (auch er übertreibt ein bisschen dabei). Und selbst die Höflinge, die Gilda entführen, kann man verstehen, sie sind zu Recht sauer auf Rigoletto (auch ihnen gegenüber hat er ein bisschen übertrieben mit seinen Scherzen). Doch die Folgen sind fatal: Schande, Rache, Mord. Tot ist am Ende aber nicht der Herzog, sondern Gilda, die sich geopfert hat für eine Liebe, von der sie doch gewusst hat, dass es keine ist.
So geht die Geschichte in Verdis Oper, die bei den meisten Aufführungen mit einem prächtigen Ball beginnt und in einer schäbigen Absteige endet. In Zürich, in der Inszenierung von Tatjana Gürbaca, gibt es dagegen nur einen riesigen Tisch auf einem abschüssigen Boden. Und Figuren, die keine Kulissen brauchen, um lebendig zu werden.
Starke Debüts
Gilda vor allem: Aleksandra Kurzak gibt sie verspielt, verliebt, verstört, verzweifelt, und wer Verdi je belächelt hat, weil er sie noch lange nach dem tödlichen Messerstich weitersingen lässt, wird hier eines Besseren belehrt. Bei dieser Gilda ist man froh um jeden Ton, den sie zu singen hat: So blitzsauber, so gefühlvoll, so wahr gestaltet sie diese schwierige Partie, und dabei mit einer Leichtigkeit, wie sie eben nur Teenager haben.
Dabei hat Aleksandra Kurzak, geboren 1977 in Polen, bekannt geworden als Königin der Nacht und nun erstmals in Zürich zu Gast, das Teenager-Alter schon eine Weile hinter sich. Sie ist sogar ein Jahr älter als ihr Bühnenvater Rigoletto, dargestellt vom hawaiianischen Bariton Quinn Kelsey, und natürlich könnte man wieder einmal lästern über die hoffnungslos realitätsfremden Figurenkonstellationen, die in der Oper üblich sind - wenn nicht auch Kelsey bis in die letzte Faser glaubwürdig wäre als Vater.
Das hat mit seiner Stimme zu tun, mit diesem vollen, warmen, in seiner Sorge auch mal gebrochenen, also eben väterlichen Bariton. Und auch mit seiner hünenhaften Gestalt: Wie ein Schwergewichtsboxer bewegt sich Kelsey über die Bühne (auch er ist zum ersten Mal in Zürich), stets auf der Lauer für den Fall, dass einer ihn oder seine Tochter angreifen will. Sein Rigoletto ist kein Narr, kein Buckliger, das von Silke Willrett entworfene Jackett sitzt; aber man sieht ihm an, dass er schon viel einstecken musste und nun endlich einmal austeilen will.
Wenige Kulissen, keine Frauen
Im Laufe des Abends lernt man diese beiden Figuren weit besser kennen, als es in der Oper üblich ist. Die Berlinerin Tatjana Gürbaca, mit Geburtsjahrgang 1973 nicht viel älter als ihre Protagonisten und wie diese eine anderswo längst hoch gehandelte Zürcher Debütantin, hat ihre Beziehung bis in die kleinste Geste ausgestaltet. Gleichzeitig lässt sie den Figuren viel Raum: weil sie das Stück befreit hat von allem, was sich im Laufe der Jahrzehnte an Konventionen angesammelt hat.
Nicht nur Klaus Grünbergs Bühnenbild hat sie auf ein Minimum reduziert, auch beim Personal ist sie sparsamer als üblich. So verzichtet sie auf die weiblichen Statistinnen, die normalerweise die Festszene im ersten Akt bevölkern. Hier sind die Männer unter sich, genau wie in Verdis Partitur. Und was sie tun, passt (wohl zufällig, solche Aufführungskonzepte werden ja jeweils über lange Zeit hinweg entwickelt) exakt zur aktuellen Sexismusdebatte.
Der traurigste Tod
Auch am Hof von Mantua ereignet sich nichts juristisch Relevantes. Man trinkt, man lacht, man hält dem alten Monterone die Nacktbilder seiner Tochter unter die Nase, und wenn die Gräfin Ceprano ihren Gatten sucht, dann muss sie sich nachher die Strümpfe hochziehen. Tatjana Gürbaca hat das scharf choreografiert (vielleicht hat sie sich mit dieser Szene die Buhs gesichert, die sie nach der ansonsten umjubelten Premiere einkassieren musste). Aber dass es ihr um mehr geht als um plumpe Aktualisierung, bleibt in jedem Moment spürbar.
Denn Gürbaca benutzt die Oper nicht bloss als Vorlage für heutige Bilder, sie sucht vielmehr nach der Essenz, nach dem Geheimnis der Kunstform Oper - in der Haltung ähnlich, in der Ästhetik ganz anders als ihre Lehrer Ruth Berghaus und Peter Konwitschny. So realistisch sie die Beziehungen zwischen den Personen ausleuchtet, so geschickt zeigt sie gleichzeitig, was in ihren Köpfen, Herzen und anderswo vorgeht. Die Pappkrone des Herzogs etwa sagt alles über seinen Umgang mit der Macht (und darüber, was er mit einem Narren gemeinsam hat). Und wenn Rigoletto zuletzt die sterbende Gilda loslassen muss und nur noch eine Statistin in den Armen hält, dann erlebt man den traurigsten Operntod seit langem.
Auch den stillsten - dank dem Zürcher Generalmusikdirektor Fabio Luisi, der zusammen mit der Philharmonia Zürich einen bemerkenswert leisen «Rigoletto» spielt und damit dasselbe tut wie Gürbaca: Ballast abwerfen, Traditionen hinterfragen, Dinge freilegen, die man sonst kaum wahrnimmt.
Nicht, dass seiner Interpretation deshalb der Schmelz abgehen würde. Der ist durchaus vorhanden, in präzis ausgehörten Klangmischungen, in weich ausgespielten Linien, in leuchtenden Bläserpassagen. Aber es gibt eben auch anderes: bedrohliche Bässe, die den Sängern einen ebenso gefährlichen Boden bereiten wie die schiefe Bühne. Akzente, die wie Widerhaken wirken in einer Partitur, die doch als so geschmeidig gilt. Typische Verdi-Begleitfiguren, die keineswegs formelhaft klingen. Unnachgiebige Tempi, in denen die Figuren geradezu gefangen gehalten werden. Männerchorpassagen, in denen der übliche markige Ton richtig grob wird. Und eine Sturmszene, in der dank dem Summen dieses von Ernst Raffelsberger vorbereiteten Chors tatsächlich der Wind durchs Opernhaus zu pfeifen scheint.
Unbelehrbare Melancholiker
Vor allem aber hat Luisi eine Abneigung gegen alles, was nach Schlager klingt. Das fällt auf in einem Stück, das gleich zwei Superhits enthält: «Questa o quella per me pari sono» und «La donna è mobile», beide gesungen vom Herzog, also vom Albaner Saimir Pirgu, der mit seinen 31 Jahren der Jüngste ist in diesem jungen Team. Er hat diese Figur in Zürich schon früher verkörpert - und zeigt nun noch deutlicher, dass er mehr zu bieten hat als einen metallisch glänzenden Tenor. Geradezu melancholisch klingen diese Arien über die Austauschbarkeit der Frauen bei ihm, als ob er sie singen würde, weil er einfach nicht anders kann.
Wenn dieser Herzog letztlich trotzdem eindimensionaler wirkt als Gilda oder Rigoletto, so liegt das weniger an Pirgu als an der Partie. Unbelehrbare Frauenhelden (oder Frauenverächter) sind nun mal nicht besonders interessant, das gilt in der Oper wie anderswo.