Herbert Büttiker, Der Landbote (05.02.2013)
Das Opernhaus lädt Verdis «Rigoletto» zu Tisch. Darstellerisch und sängerisch intensive Protagonisten loten die Geschichte in einem szenischen Leerraum nach innen aus – ein Konzept für viel Zustimmung und für heftige Ablehnung an der Premiere.
Da stehen der Herzog, verkleidet als Student in kurzen Hosen, und das wohlbehütete, aber auch mit schalkhafter Lebenslust dem väterlichen Gefängnis trotzende Mädchen Gilda auf dem Tisch. Sie singen ihre Liebesbeteuerungen in luftigen Kantilenen, und in der langen, langen Kadenz (wie sie Verdi hier wie nirgends sonst ausschreibt) scheinen sie zu schweben. Die beiden Protagonisten gehen in diesem Schmetterling-im-Bauch-Moment vollkommen auf: Aleksandra Kurzak mit ihrem kräftigen, aber mädchenhaft schlanken Sopran, Samir Pirgu, der seinen Tenor charmant flirtend, aber schon auch schmetternd strahlen lässt.
Der Ort dieses Treffens ist in der Zürcher Inszenierung nicht Rigolettos nach aussen verriegeltes Haus an einer verwinkelten Gasse im Mantua des 16. Jahrhunderts, sondern der leere, schwarze Bühnenraum, der einzig von einem langen weissen Tisch akzentuiert wird (Bühne: Klaus Grünberg). In der ersten Szene versammelt sich die Männerrunde um diesen Tisch wie zur Konferenz, nur dass die Festmusik aus dem Hintergrund die Stimmung auf Stammtischheiterkeit umpolt und sich die Männer die einzig anwesende Frau, die Gräfin Ceprano, für ihre Geilheit auftischen.
In der letzten Szene ist es die Leiche, eingehüllt in Plastik, die auf dem Tisch präsentiert wird, und wieder ist dieser auch eine Bühne auf der Bühne: Hoch aufgerichtet triumphiert Rigoletto da, bis er erkennt, dass er nicht den toten Herzog, sondern die sterbende Tochter vor sich hat.
Duett am Küchentisch
Für sein Aufbäumen hat der Zürcher Rigoletto mit dem Bariton Quinn Kelsey die füllig warme und höhensichere, rhetorisch starke, in den weiten Kantilenen manchmal auch ein wenig ermüdete Stimme. Auch Körperfülle setzt er ein, als aggressiv aufbrausender Aussenseiter am Hof und liebevoll, wenn er seine Tochter väterlich vereinnahmt, die Stimme dabei ein wenig ins Rührselige gleitet und sich dann wieder gebieterisch auffängt. Für Gilda ist sein Ungestüm eine Aufforderung, je nachdem zu schmollen oder den Vater zärtlich zu schonen: Es ist spannend, wie differenziert die Duettszene im 1. Akt die häuslichen Verhältnisse analysiert, ganz aus der Musik heraus, am überdimensionierten Küchentisch gleichsam.
Um diesen Tisch und auf ihm spielt sich überhaupt die ganze Geschichte ab, und nicht einmal die Beleuchtung will Atmosphäre schaffen. Aber die abstrakte Vorgabe scheint die Regisseurin Tatjana Gürbaca zu beflügeln, Charaktere und Beziehungen der Figuren um so präziser und naturalistischer zu zeichnen. Ohne den Glanz seines Ambientes bleibt einzig der Herzog farblos. Und je mehr das Libretto explizit mit komplexen räumlichen Verhältnissen rechnet – bei der Entführung Gildas, in der Quartettszene des dritten Aktes –, um so gesuchter wirkt auch das antiillusionistische Konzept.
Wobei gesucht nicht unsinnig meint. Am Tisch und ohne die vorgesehene räumliche Trennung der Stimmen lässt sich in der Quartettszene andeuten, wie «La donna è mobile» zu verstehen ist: durchaus mit Blick auch auf Gilda, der der Herzog hier Geld in die Hand drückt. Dann aber die Mordszene: Was die Musik in der Gewitterszene mit elementarer Wucht zum Ereignis macht, ist hier bloss Theater auf dem Theater. Im Eimer wird das Theaterblut herbeigeschafft, in Zeitlupe erscheint für die sterbende Gilda ein Double auf der Szene – «Regiekunst», die einen hier nicht näher zur Sache führt.
Das Drama in der Musik
Wie direkt doch gerade da die Musik zur Sache geht, wie sie Szene, Handlung und Psychologie in eine musikdramatische Vision bringt, aus der sich nichts abspalten lässt! «Ich glaube, dass wir immer noch nicht ganz verstanden haben, wie grossartig und revolutionär dieser Komponist war», meint Fabio Luisi, der diesen «Rigoletto» dirigiert: Mit den genannten Protagonisten, die musikalisch Intentionen differenziert umsetzen; mit einem Ensemble aus Männerchor und mittleren Rollen und mit einem Orchester, das unter seiner Leitung ein starker Bühnenpartner ist, mit solistischen Begleitstimmen (Englischhorn in der Baritonszene), dem dosiert, aber gewaltig entfesselten Klang in der Gewitterszene. Ein Höhepunkt ist der dritte Akt mit dem weit ausgreifend musizierten Quartett auch dank starker Rollengestaltung von Pavel Daniluk als Sparafucile und Judith Schmid als Maddalena.