Hässlich, aber faszinierend

Christian Berzins, Mittelland-Zeitung (05.02.2013)

Rigoletto, 03.02.2013, Zürich

Das Opernhaus Zürich zeigt zum Verdi-Jahr «Rigoletto» in einer für Zürich modernen Lesart

Unschön, ja hässlich ist dieser Zürcher «Rigoletto». Aber durchgehend spannend, bisweilen gar hinreissend. Und so verwirrend diese ersten Worte sind, so unentschieden war der Schlussapplaus: Die Buhrufer waren zwar stark, aber nicht überlegen. Die eleganten Damen im Foyer waren sich allerdings einig, schimpften, dass «Rigoletto» doch eine so schöne Oper sei, sie so kalt zu inszenieren, nicht zum Opernhaus Zürich passe.

Fragt sich nur, was an diesem Werk so «schön» ist, handelt es doch von einem Fürsten und der ihn umgebenden Männergesellschaft, die Spass sucht und die Lust in der Erniedrigung findet. Von dieser Spirale der Erniedrigungen wird der Spassdirigent Rigoletto in den Abgrund gerissen: ein verzweifelter Krüppel, der seine Tochter Gilda zu Hause gefangen hält, da er weiss, was ihr draussen blüht. Es kommt, wie es kommen muss: Gilda verliebt sich in den Fürsten, gibt sich ihm hin, er läuft zur Nächsten über, der Narr will ihn töten lassen, der Auftragsmörder legt Rigoletto seine Gilda in den Leichensack. Der Vorhang fällt...

Ein eiskalter Plastik ist es, der notdürftig um Gilda geschlungen wird, nicht ehe ihr ein Eimer Blut über den Körper gegossen wurde. Leinen und sorgsame Verpackung gehören zur Oper von gestern.

Ein Tisch allein und ein paar Stühle genügt der 30-jährigen Tatjana Gürbaca ansonsten, um die Bühne auszufüllen (Bühne Klaus Grünberg): Als ob sie sich angesichts so viel Dürftigkeit verteidigen will, bemüht die Regisseurin im Programm die alte Mär, dass alles in der Musik Verdis bereits vorhanden sei.

Homokis Opernidee verwirklicht

Wie auch immer: Gürbaca ist durch die Reduktion gezwungen, die Figuren sehr genau zu zeichnen. Und sie schafft das so gut, dass bei aller dunklen Radikalität dieser Inszenierung die Charaktere und somit die Geschichte über allem stehen bleiben. Hier zeigt sich die neue Zürcher Dramaturgie von Pereira-Nachfolger Andreas Homoki deutlich: In Zürich treten zwar weiterhin nur die besten (und teuersten) Sänger auf, aber sie müssen in ein Gesamtkonzept passen und auch schauspielern können.

Bereits die «physique du rôle» ist bei allen drei Protagonisten hinreissend. Quinn Kelsey ist als Rigoletto ein liebenswürdiges Monster, Aleksandra Kurzak ein schlaues, ja auch durchtriebenes Mädchen, viel hat sie von ihrer Amme, die Nutella mit dem Messer direkt aus dem Glas schleckt, gelernt, und Saimir Pirgu ist als Duca ein eiskalter Charmebolzen.

Pirgu singt am besten. Das heisst: Er zeigt im Unterschied zu den anderen keine Schwächen, wächst aber als durch und durch lyrisches Tenorpflänzchen naturgemäss auch nicht über sich heraus. Er zeichnet so klar, exakt und feinsinnig gewählt, dass man auf den geliebten Tenorbluff gerne verzichtet.

Aleksandra Kurzak spielt hinreissend, singt aber nicht besser als ihre Zürcher Gilda-Vorgängerinnen. Es fehlt ihr bisweilen an Leichtigkeit, was sie allerdings in den dramatischeren Teilen nicht wettmachen kann. Egal? Im Gesamtbild durchaus.

Quinn Kelsey kann an einem guten Abend ein unheimlicher Rigoletto sein – aber 80 Prozent Grossartigkeit wie bei der Premiere reichen nicht. Schon zum Schluss des ersten Aktes wirkt die Stimme belegt. Der Hawaiianer fängt sich wieder, und wie er sich in den Schlusstakten aufbäumt, ist famos. Er singt ohne die berüchtigte Träne in der Stimme, aber seine Exaktheit und Ausgeglichenheit erreichen italienische Instinktsänger nur selten. Und wichtig: Kelsey ist ebenso wie Pirgu frei jeglicher von der Tradition beschworener Mätzchen. Wie vor allem auch sein Chef am Dirigentenpult, der aber dafür büssen musste.

Es gab nämlich nicht nur Buhs für die Regisseurin, sondern auch für Chefdirigent Fabio Luisi: Die Nello-Santi-Fraktion toleriert es offenbar nicht, dass nach gefühlten 80 Jahren ein anderer in Zürich «Rigoletto» dirigiert. Schon gar nicht so toll.

Verhalten, wo andere bereits schnaubend Klischees feiern, schneidend scharf, wo andere nur einen Übergang sehen, zügig, wo andere irgendeine besonders «schöne» Stelle verschleppend feiern, detailgetreu bis zur Kammermusik, wo andere plump dem Sänger vermeintlich dienen. Luisis Dirigat war mehr als eine prächtige Blutauffrischung, es offenbarte ganz neue Seiten des Werks. Desgleichen die Regie.

Tatjana Gürbaca erzählte nicht bloss ein nettes Geschichtchen, bei dem der Opernfreund am Schluss vor Rührung ein paar Tränchen vergiesst, sondern sie zeigte schonungslos, und bisweilen auch symbolreich, wie brutal diese Männergesellschaft rund um den Duca geworden ist. Wie die Geier hacken diese Männer aufeinander ein, es ist nur eine Frage der Zeit, bis einer den Fürsten abstechen wird. (Nur) noch einmal geht es für ihn gut aus.

Zugegeben: Der alles bestimmende Tisch schafft es nicht, alle Tücken der Handlung zu überwinden – aber er beflügelt die Fantasie. Diese wunderbare Theaterwaffe, die uns in Bern vor einer Woche im «Macbeth» vorenthalten wurde.




Verdi-Glück auch in Luzern

Nebenbei: In der aktuellen Luzerner «Traviata» darf man sie durchaus auch gebrauchen. Im kleinen Theater wird grossartig gesungen (allen voran Svetlana Doneva) und unter der Leitung von James Gaffigan famos musiziert. Die Geschichte wird – mit einer dummen Ausnahme zum Schluss – von Lorenzo Fioroni kreativ und mutig, aber doch nahe am Text erzählt.

Kurzum: Das Schweizer Verdi-Jahr 2013 hat nach dem Berner Aussetzer die Kurve gekriegt.