Manon Lescauts Welt ist nun der Flughafen

Lisa D. Nolte, Tages-Anzeiger (09.02.2013)

Manon, 07.02.2013, Basel

Der Figur der Manon Lescaut ist vor allem ein Attribut eingeschrieben: jugendliche Unbeständigkeit. Mademoiselle strebt nichts weniger an als die ganze Welt und ist folglich unablässig in Bewegung - innerlich wie äusserlich. Naheliegend, dass Regisseur Elmar Goerden und das Bühnenbildnerduo Silvia Merlo/Ulf Stengl in ihrer dritten gemeinsamen Produktion am Theater Basel das Geschehen von Jules Massenets 1884 uraufgeführter Opéra comique an einem Flughafen ansiedeln. Diese Zwischenstation par excellence passt zu Wesen und Leben der Titelheldin - vom sterilen Glanz des Jetsets über die Duty-free-Shopping-Hölle bis zum Schlafsacklager für gestrandete Reisende.

Geschmeidig fügt sich Maya Boog (Manon) in die Rolle des entdeckungshungrigen Girlies, das sich von den Verlockungen aufsaugen lässt, bevor es gelernt hat, mit ihnen umzugehen. Boog verleiht ihm einen äusserst wendigen Sopran. Dabei beweist sie Mut zu kultivierter Hässlichkeit, wenn sich die fragwürdige Heldin in die Exzesse der Glamourwelt stürzt, und zugleich die Fähigkeit, auch ein Pianissimo an der Hörgrenze noch mit lyrischer Plastizität auszugestalten, wenn Manons Unsicherheiten und ihr Wankelmut zutage treten. Dabei spielt sie ihren geliebten Chevalier Des Grieux (Andrej Dunaev), der hier als ungewaschener Backpacker auftritt, buchstäblich an die Wand. Erst spät singt Dunaev sich frei vom durchaus ergreifenden Schmelz seines Tenors, gibt sich dann aber stimmlich sehr organisch in die Zerrissenheit seiner Figur.

Auch die übrigen Solisten überzeugen - und das Sinfonieorchester Basel unter Enrico Delamboye überlässt ihnen anfänglich in Laissez-faire-Attitüde das Zepter. Verwunderlich, denn die starke Rolle des Stimmungs- und Charakterzeichners, die Massenet dem Orchester hier zugedacht hat, vermag es späterhin bravourös auszuspielen. Herrlich, mit welch melodramatischer Ironie Delamboye das suizidale Ende Manons ausgestaltet: Goerdens Heldin kann, anders als von Massenet vorgesehen, nicht still und reumütig dahinscheiden. Sondern verlässt die Welt, die ihren Ansprüchen nie genügte, mit einem inszenierten Paukenschlag.