Oliver Schneider, DrehPunktKultur (06.02.2013)
Tatjana Gürbaca und Fabio Luisi zeigen einen gangbaren Weg, wie man Verdis „Rigoletto“ deuten kann. Jedermanns Geschmack muss es nicht sein.
Giuseppe Verdis „Rigoletto“ steht beim Publikum hoch im Kurs. Das rechtfertigt, sich in regelmässigen Abständen neu mit dem Werk auseinanderzusetzen, zumal sich auf die letzte Produktion im Opernhaus Zürich rasch der Grauschleier gelegt hatte. Zwei unterschiedliche Debüts sorgen diesmal für Interesse: Die Mainzer Operndirektorin Tatjana Gürbaca stellt sich mit einer nüchternen Deutung in Zürich vor, und Generalmusikdirektor Fabio Luisi gibt seinen Verdi-Einstand.
Gürbacas „Mantua“, wohin Verdi und sein Librettist Francesco Maria Piave die auf Victor Hugos Drama „Le roi s’amuse“ beruhende Oper ohnehin nur wegen der Zensur verlegt haben, ist ein Ort, in dem sich eine degenerierte, heutige Männergesellschaft aus purer Langeweile nur dem Vergnügen hingibt. Frauen haben nur als Mittel zum Zweck Platz. Sie werden wie die Gräfin Ceprano am liebsten auf dem großen weißen Tisch in der Bühnenmitte entehrt (Bühne: Klaus Grünberg, Kostüme: Silke Willrett). Dass dabei auch bewusst der Ehemann erniedrigt wird, gehört dazu, in dieser machthungrigen, sich gegenseitig belauernden Gesellschaft.
Der Herzog ist einer von ihnen. Nur durch seine Papierkrone sticht er zu Beginn heraus. Im Schlussbild hat sich die gesamte Chor-Männerhorde (einstudiert von Ernst Raffelsberger) dieser Machtinsignie bemächtigt. Gürbaca zeigt den Herzog als charakterlich abgrundtief verkommenes Individuum. Sympathie kann er nur erwecken, wenn er sich als armer Student mit struppigem Haar verkleidet und dank der kupplerischen Giovanna in Rigolettos Haus einschleicht, um das Herz von dessen Tochter Gilda zu brechen. Sein wahres Ich zeigt er ihr im Sparafuciles Haus, wenn er für ihre „Dienste“ Geld hinwirft. Dann kommt Maddalena dran (tadellos Judith Schmid). Saimir Pirgu ist darstellerisch für diesen eindimensionalen Herzog eine ideale Besetzung.Stimmlich gefällt er mit seinem gut sitzenden Tenor und beeindruckt mit dem Glanz seiner Spitzentöne. Nur stellenweise gibt er zu viel Stimme.
Sein williger Helfer Rigoletto ist der aus Hawaii stammende Quinn Kelsey. Er macht bei aller Bosheit glaubhaft, dass es auch in dieser aggressiven Männerwelt eine Grenze gibt, der kein noch so starker Panzer um die eigenen Gefühle standhält. Stimmlich braucht er etwas länger, bis er mit seinem dramatischen, für das Zürcher Haus adäquaten Bariton fesseln kann. Gildas Entwicklung geht vom unschuldigen, vom Vater im Haus abgeschirmten Töchterchen zur todesbereiten Liebenden, obwohl sie um den miesen Charakter des Geliebten weiss. Aleksandra Kurzak punktet mit einer ausgesprochen schönen Mittellage und der hohen Expressivität ihres Soprans, der im Ganzen vor allem zur gereiften Gilda im zweiten Teil des Abends passt. Tadellos ist auch das übrige Ensemble.
Was den Abend interessant macht, ist das Heranzoomen der Personen, die meist in gleissendem Licht gescannt werden. Stark sind auch die surrealen Momente, wenn zum Beispiel Monterone in Rigoletto dem Willen zur Rache zum Durchbruch verhilft, indem er geheimnisvoll einen Dolch neben ihn legt. Etwas bemüht ist der Schluss, wenn Rigoletto ein Double Gildas in den Armen hält und die Tote werkbedingt weitersingen muss.
Im Einklang mit der musikalischen Regie steht das Dirigat von Fabio Luisi, unter dessen Leitung die Philharmonia Zürich präzise, immer wieder scharf und flüssig in den Tempi musiziert. Einen warmen Orchesterklang sucht man vergeblich auszumachen, doch der würde die Gesamtwirkung des Abends nur schmälern.