Verdis «Macbeth» wird zum Drama der Kinderlosigkeit

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (29.01.2013)

Macbeth, 27.01.2013, Bern

Im Verdi-Jahr liefert das Berner Theater eine ambitionierte Auseinandersetzung mit «Macbeth» vom deutschen Schauspielregisseur Ludger Engels. Mutige Entscheidungen bei der Besetzung führen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Süss und knuddlig sieht es aus, ein bisschen wie ein Teddybär. Nur der Kopf stimmt nicht: Statt eines lachenden Mundes klafft da ein riesiges Loch, was aus dem Kuscheltier ein bedrohlich gefrässiges Monster macht. Oder auch nicht: In ihrer zweiten Szene zeigten die Hexen, dass sich die Monster auch als extravagante Kopfbedeckungen eignen. Eine der vielen gelungenen Bilder-Chiffren dieser Produktion, die auf allen Ebenen nicht nur psychologische Motivationen aufdeckte, sondern im ganz Normalen das Übersinnliche und Monströse suchte.

Realität verschwamm ständig mit Projektionen und Wahnvorstellungen, von denen nie so ganz klar wurde, wer von den vielen Leuten auf der Bühne nun was genau sieht. Letztlich bleibt zu vermuten, dass wir uns ausschliesslich in den Köpfen der beiden Protagonisten bewegen, einem gut situierten Paar in unbestimmt leitender Funktion, deren zunehmender Paranoia Bedienstete wie Ärzte zunehmend hilflos gegenüberstehen.

Düster wird noch düsterer

«Macbeth» ist Giuseppe Verdis düsterste Oper, und der deutsche Regisseur Ludger Engels machte sie noch düsterer: Die Todesszene Macbeths rettete er aus der ursprünglichen Florentiner Fassung von 1847 in den Schlussakt der ansonsten klanglich reicheren Pariser Fassung von 1865. Dazu kombinierte er kurze Zitate aus William Shakespeares Original. Meistens waren das inhaltlich zwar Verdoppelungen, aber die Verse klangen von allein schon fast wie Musik.

Viel Glas ist auf der Bühne, aber den Durchblick verlieren Macbeth und seine Lady zunehmend. Ein Glashaus bietet Raum für Erinnerungen, Projektionen und Erscheinungen. Engels liest «Macbeth» als Drama der Kinderlosigkeit, an der sowohl die weiblichen Instinkte der Lady verkümmern, wie sie Macbeths Suche nach dem Beweis der eigenen Männlichkeit schliesslich in mörderische Raserei münden lässt. Ein wie auch immer verlorenes Kind scheint für das Paar eine zentrale Rolle gespielt zu haben, dessen gesammelte Kuscheltiere dann im letzten Akt den zerlumpten Kriegsopfern in die Arme gedrückt werden können.

Wieder ein starkes Bild, diesmal auch zu starker Musik: Den Chor der Flüchtlinge («Va pensiero» lässt heftig grüssen) steigerten die Berner Ensembles unter der Leitung von Srboljub Dinic aus ebenmässig gespannten Piano-Regionen zu eindrücklicher Grösse. Anderen Choreinsätzen fehlte manchmal ein wenig die Spritzigkeit und die letzte rhythmische Genauigkeit, aber insgesamt eine souveräne Leistung des Berner Theaterchors.

Dynamisch-mitreissender Dinic

Und auch Dinic bewies eine klangliche und dynamische Sensibilität, die man ihm aufgrund früherer Produktionen kaum zugetraut hätte. Ohne dramatische Wirkungen zu verschenken, deckte er die Sänger nie zu, und schaffte es, das hin und wieder ein wenig behäbige Berner Orchester auf die Finali hin anzufeuern. Fast alle Rollen wurden aus dem Berner Ensemble besetzt, was vor allem bei einer Killer-Partie wie der Lady Macbeth ein mutiger Entscheid war. Fabienne Jost konnte zu Beginn auch nicht alle Befürchtungen entkräften: Koloraturen brachten sie schnell ins Schlingern und manche dramatisch aufgeladene Höhenlage litt unter schrillem Timbre und flackerndem Vibrato.

Aber je länger der Abend dauerte, desto sicherer bewegte sich die französische Sopranistin in ihrer Partie und in der finalen Wahnsinnsszene triumphierte sie gar mit einer wachen, vielseitigen, klanglich ausdifferenzierten Gestaltung.

Ein beeindruckender Macbeth

In der Titelrolle liess Robin Adams von Beginn weg nichts anbrennen: Beeindruckend, mit welchem Engagement und welchen stimmlichen Möglichkeiten sich der britische Bariton in die Partie reinkniete. Ausser kleiner stilistischen Finessen, die man bemängeln könnte, war dieser Macbeth ein packendes, mit viel Emotionen aufgeladenes und insgesamt stark beeindruckendes Rollenporträt.