Keine Liebe – und trotzdem keine Macht

Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (29.01.2013)

Macbeth, 27.01.2013, Bern

Giuseppe Verdis «Macbeth» am Stadttheater Bern

Was für ein Protagonistenpaar. Giuseppe Verdi macht es einem Intendanten alles andere als leicht, die Rollen von Macbeth und Lady Macbeth adäquat zu besetzen. Denn was der schottische Feldherr, der über Leichen geht, um die ersehnte Krone zu erlangen, und seine Gattin, die ihn dazu aufstachelt, sängerisch und schauspielerisch leisten müssen, bewegt sich am Rande des Möglichen. Das beweist auch die Neuproduktion von «Macbeth» am Stadttheater Bern, veranstaltet von der Stiftung «Konzert Theater Bern».

Grossartige Titelfigur

Mit dem Engländer Robin Adams, der schon seit einiger Zeit zum Berner Ensemble gehört, ist die Titelrolle des Macbeth grossartig besetzt. Seine Stimme lässt noch in der Todesarie eine Spannkraft erkennen, die sie schon während der ganzen zweieinhalb Stunden zuvor gezeigt hat. Adams mimt einen eher weichen, unentschlossenen Macbeth, der sich vor sich selber fürchtet. Das ist richtig so, denn die treibende Kraft des Geschehens ist ja Lady Macbeth. Doch Fabienne Jost, ebenfalls Ensemblemitglied, wird dem Format dieser Rolle nicht gerecht. Zwar hat ihr Sopran Volumen und Farbe, die sie in der Wahnsinnsszene noch zu steigern vermag. Aber ihr Charakter ist zu bieder, zu wenig verführerisch, zu wenig dämonisch.

Das Biedere tritt auch in der Ausstattung zutage. Moritz Junge steckt die Figuren in brave Kostüme, die Hexen treten als Puppen auf, Macbeth darf als König einen Schottenrock anziehen. Die Bühne von Ric Schachtebeck zeigt im Vordergrund einen Wohnraum mit Requisiten aus den fünfziger Jahren. Die Aussenwelt dahinter ist durch eine Glaswand abgetrennt und ausgeschlossen. Das Zentrum des Geschehens bildet jedoch ein Glashäuschen, das anfangs als Kinderzimmer definiert ist, das aber auch den Schauplatz des Mordes an König Duncan und des Selbstmords von Lady Macbeth bildet.

Den Angelpunkt des Geschehens sieht der Regisseur Ludger Engels in der Kinderlosigkeit des Paares Macbeth. Das Kinderzimmer ist leer, die Teddybären haben keine Funktion. Sie werden aber als Accessoires der Hexen zur treibenden Kraft des Geschehens. Mangel an Liebe und an Nachkommen treibt Macbeth zu seiner Machtgier. Die Kinderlosigkeit treibt seine Gattin dazu, alle umbringen zu lassen, denen Kindersegen beschert ist: Banquo und seinen Sohn, die Familie von Macduff. Es ist ein psychologischer Ansatz, der aus dem Stück gewonnen ist und der konsequent und anspielungsreich durchgezogen wird. Die Kehrseite der Medaille: Die politischen Aspekte von «Macbeth» kommen zu kurz. Dazu passt auch die Tatsache, dass in Bern zwar prinzipiell die Pariser Fassung aus dem Jahr 1865 gespielt wird, dass aber im vierten Akt eine Vermischung mit der Florentiner Originalfassung von 1847 stattfindet: Der finale Kampf zwischen Macbeth und Macduff ereignet sich auf offener Bühne, die patriotische Siegeshymne wird weggelassen. Weniger zwingend sind die in allen Akten eingefügten englischen Zitate aus Shakespeares «Macbeth», der Vorlage des Librettisten Francesco Maria Piave.

Spannung in den Ensembleszenen

Der Macduff von Adriano Graziani gewinnt, entsprechend dem Verlauf der Tragödie, gegen Schluss deutlich an Statur. Etwas fad wirkt Andries Cloete als Duncans Sohn Malcolm; weshalb zuletzt ausgerechnet er als neuer König eingesetzt wird, bleibt schwer nachvollziehbar. In bester stimmlicher Verfassung zeigt sich der Bass Pavel Shmulevich als Banquo, der sich überzeugend von Macbeths Freund zu dessen Gegenspieler wandelt. Grossen Anteil am Gelingen haben der Chor und der Extrachor von «Konzert Theater Bern», die als Hexen, Soldaten, Edelleute und Flüchtlinge für etliche Höhepunkte verantwortlich sind. Das Berner Symphonieorchester ist mit Srboljub Dinić in sicheren Händen. Der musikalische Direktor, der am Berner Theater schon etliche Verdi-Produktionen dirigiert hat, zeigt Gespür für die Belcanto-Elemente und für den Spannungsaufbau in den grossen Ensembleszenen. Unvergesslich etwa das Finale des zweiten Akts, wo verordnete Festfreude, die Schreckensvisionen Macbeths, die Vertuschungsversuche der Lady und das Erstarren der Gäste sich zu einem vielschichtigen Gefüge verdichten.