Im Wahnsinn das festliche Konzert

Herbert Büttiker, Der Landbote (04.02.2013)

La finta giardiniera, 02.02.2013, St. Gallen

Aus der Anmut des Rokoko macht das Theater St. Gallen die übermütige Inszenierung von Mozarts «La finta giardiniera», kurzweilig, glänzend musiziert und so vorder- wie hintergründig.

Wieder einmal «altes Kulissentheater»: Gemalte Prospekte, kartonflache Baumkronen kommen aus dem Bühnenhimmel herunter, von der Seite werden die Statuen für den Park hereingeschoben, die Amoretten fliegen durch den Raum, und von oben schwebt auch der Contino Belfiore in der Montgolfiere auf die Bühne: hohe weisse Perücke, weiss gepudertes Gesicht, pastellfarbener Rock im Rokokoschnitt, gespreizte Arme, das obligate Seidentüchlein zwischen den Fingern. Peter Nolle (Bühne), Thomas Kaiser (Kostüme) und Lydia Steier (Inszenierung) haben anderes im Sinn als «historische Aufführungspraxis» und verwenden das Rokoko Mozarts als Material einer deftigen und comicartigen Erzählung, voller (meist) witziger Details, kurzweilig und manchmal auch hyperaktiv. Der heiratslustige Podestà kommt in einem futuristischen Gefährt mit Elektromotor angefahren, und der Diener Nardo, der verzweifelt um die Dienerin Serpetta wirbt – sie macht sich (vergeblich) Hoffnung auf den Podestà – singt «Ewigi Liebi», um seine polyglotte Liebeserklärung Mozart-fern zu ergänzen.

«Historische Aufführungspraxis» ist in dieser Produktion auch musikalisch nicht die Maxime: Die Rezitative werden von einem modernen Klavier begleitet, das sich auch mal einen Ausflug zum Jazz erlaubt, das Sinfonieorchester spielt einen modernen, ungemein flüssigen und klar konturierten Mozart, sensibel und ohne den historisierend aufgerauten Klang zupackend dynamisch. Mit Jeremy Carnall steht ein Dirigent für wache Präsenz und musikalische Begeisterung am Pult. Ihm folgt das St. Galler En­sem­ble mit durchwegs attraktiven Stimmen und einer musikalischen Seriosität, die den ernsten Emotionen im buffonesken Treiben nichts schuldig bleibt und deshalb auch im chargierenden Spiel den Kern der Sache nicht verfehlt – und es ist auch hier wieder ein Erlebnis, wie tief der damals 18-jährige Mozart ins Getriebe des Lebens eindrang.

Ein Eifersuchtsdrama mit fast tödlichen Folgen ist die Vorgeschichte der Ereignisse im Hause des Podestà. Hier treffen sie sich wieder: die beinahe getötete Marchesa Violante, die als Gärtnerin Sandrina Unterschlupf gefunden hat, und der Täter, Contio Belfiore, der sie getötet zu haben glaubt und hier nun Aminta, die Tochter des Podestà, zu heiraten plant. Dass sich Violante und Belfiore im Grunde lieben und über alle ungeheure Verletzung hinaus wieder finden, hält die Musik in Atem, in empfindsamen Arien und schliesslich in einem sich weit spannenden Duett-Finale. Bei Simone Riksman mit ihrem leuchtend tragfähigen Sopran und bei Anicio Zorzi Giustiniani mit seinem lyrisch kernigen Tenor ist dieses Paar bestens aufgehoben, und dass der eitle Geck, als der Belfiore mit einer Buffo-Arie (ein Problem der Mozart-Forschung) auftritt, kostümmässig im Laufe des Geschehens reichlich ramponiert wird, ist ein schöner Zug der Inszenierung.

Mit Verve macht Evelyn Pollock klar, dass Aminta alles andere als eine sanfte Sandrina ist, und zeigt Belfiore auch die musikalischen Krallen. Die Altistin Susanna Gritschneider lässt den zweiten Bewerber um deren Gunst, Don Ramiro, in schönsten satten Tönen schmachten, und es ist etwas schade, dass zwei von drei ihrer Arien gestrichen waren, zumal da ja auch Zeit war für den partiturfernen, wenn auch träumerisch-bühnenwirksamen Andante-Satz des CD-Dur-Klavierkonzerts. Mit musikalischem Schliff agiert auch das gewiefte Buffo-Trio mit Nik Kevin Koch (Podestà), Sumi Kittelberger (Serpetta) und Roman Grübner (Nardo). Wir haben es mit einem Septett prä­gnan­ter Musikalität für prä­gnan­te Figuren zu tun. Im nächtlichen Park herrscht nicht nur ein allgemeines Drunter und Drüber (leiblich und seelisch), sondern im Wahnsinn auch ein festliches Konzert der Stimmen.