Bettina Kugler, St. Galler Tagblatt (04.02.2013)
Mozarts frühe Komödie La finta giardiniera hat nicht die Ohrwurm-Qualitäten der «Zauberflöte». Für ein erotisches Verwirrspiel aber sind Regie, Orchester und das junge Ensemble bestens gestimmt.
Was macht Mann nicht alles, um bei den Damen zu landen: Je nach Vermögen und Verstand reicht das Attraktivitäts-Tuning in Lydia Steiers ideenreicher Inszenierung von Mozarts Opernkomödie «La finta giardiniera» von der Luxuskarosse bis zum Musicstar-Gehabe. Der eine, Diener Nardo (Roman Grübner), hat nicht mehr anzubieten als seine Stimme und dazu eine gehörige Portion Schauspieltalent: Man glaubt ihm jedenfalls die «ewigi Liebi», die er schmachtend zu Discokugel-Geflimmer in Mozarts Partitur schummelt – sehr zur Erheiterung des Publikums. Es ist nicht das einzige Mal, dass die Musik für Momente in andere Gefilde abdriftet und der künstlichen Verzwicktheit des Stücks herzhaft simple Komik entgegensetzt.
Don Anchise gibt Gas
Bei Don Anchise (Nik Kevin Koch), an seiner üppigen Perückenpracht sofort als «Podestà» erkennbar, als Vertreter der Amtsgewalt, braucht es schon etwas mehr PS, um Gärtnerin Sandrina (die eigentlich Violante heisst und ein adliges Fräulein ist) zu beeindrucken: Ein ganzes Orchester spannt er zur Liebesbeteuerung ein («Dentro il mio petto io sento un suono»). Weil das noch nicht hilft, holt er den Schwanenwagen aus der Garage, ein Motorvehikel mit stimmungsvollem Scheinwerfer, mit Teleskop und akustischer Einparkhilfe.
Vom Himmel hoch schliesslich schwebt der dritte Heiratswillige herein – der Graf Belfiore (Anicio Zorzi Guistiniani). Amoretten umflattern seinen schmucken Heissluftballon. Der Auftritt von oben passt zum Standesdünkel, mit dem er sich gleich präsentiert («Da Scirocco a Tramontana»). Trotzdem wird er wenig später am liebsten zurückklettern in den Korb; derart selbstbewusst gibt Arminda (Evelyn Pollock) den Tarif für die Ehe durch. Dummerweise fliegt der Ballon ohne ihn auf und davon. So nimmt die Komödie ihren Lauf und wird nicht so bald fertig damit.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Regisseurin legt sich für Mozarts frühen Geniestreich mindestens so heftig ins Zeug wie die drei Herren, die auf der Bühne um vier Damen buhlen, geht dabei aber geistreicher ans Werk. Sie tut alles, um rund drei Stunden lang das Spiel in Bewegung zu halten; sie meidet Gags, die sich nicht aus der Situation ergeben.
Miniatur-Theater mit Amoretten
Natürlich wuchern die Triebe im Garten des Podestà wild durcheinander: Alle lieben, doch keiner den Richtigen. Das erfordert präzise Schnitte und ein gutes Auge aufs Ganze; man kann sich die Regisseurin bei ihrer Arbeit so vorstellen wie Simone Riksman als falsche Gärtnerin, wenn sie mit der Heckenschere hantiert und sich dabei zugleich ins Herz blicken lässt. Fast jeder Handgriff hat seinen Sinn und sorgt für Klarheit in der reichlich verworrenen Handlung. Das beginnt schon beim szenischen Vorspiel während der Ouverture: Da spielen Belfiore und Violante en miniature (Markus Hofmann und Valérie Junker) auf einer Minibühne, was zuvor geschah: Einen Eifersuchtsmord im Affekt. Podestà und seine Entourage schauen zu, nur Sandrina kann sich nicht freuen. Was hier Theater im Theater ist, hat sie selbst knapp überlebt. Dieses Trauma zieht sich konsequent durchs Stück: als Nachtseite der Liebestollheit. Simone Riksman gibt ihrer Rolle eine Seelentiefe, die an Pamina Mass nimmt. Zwar will das Libretto am Ende Versöhnung mit Belfiore, doch bis dahin ist Sandrina/Violante diejenige, die nicht aufgeht im erotischen Getändel.
Das schöne Zubehör auf der Bühne von Peter Nolle ist nicht Dekor, sondern hilft dabei, aus eher hölzernen Figuren Charaktere zu machen – was auch für die stilisierten Rokoko-Kostüme von Thomas Kaiser gilt. Bewegliche Bühnenelemente verdoppeln das Spiel und weisen nach innen; die Amoretten steigen von ihren Marmorpodesten und mischen kräftig mit. Der gestutzte Garten verwandelt sich mit der Zeit in einen surrealen Raum, einen Steinbruch mit riesigen aufgespiessten Insekten. Zur Lustmaximierung lässt das Stück nichts unversucht: sogar die Sonne verfinstert sich.
Wildes Paarungskarussell
Das Finale des zweiten Aktes treibt es auf die Spitze; kreuz und quer werden da alle Paarungen bis zur Besinnungslosigkeit durchprobiert – so hemmungslos, wie «La finta giardiniera» insgesamt angelegt ist. Allzu viel Tiefsinn lässt sich der Oper nicht abgewinnen, dazu konzentriert sich die Handlung zu wenig auf Violante – und dafür ist Belfiore als Figur viel zu schmalbrüstig angelegt. Anicio Zorzi Giustiniani singt ihn mit der nötigen tenoralen Geschmeidigkeit. Doch auch so toupiert wie seine Haarpracht.
Mozart, schlank und gewitzt
Nik Kevin Koch gockelt als Podestà eifrig mit ihm um die Wette; Sympathieträger ist Roman Grübner mit leichten, beweglichen Bariton. Evelyn Pollock gibt mit Biss die Kapriziöse, Sumi Kittelbergers schwungvolle Dienerin Serpetta trägt viel zur Heiterkeit bei. Susanne Gritschneder in der Hosenrolle des Ramiro veredelt den Klamauk mit schönen lyrischen Farben. Das Sinfonieorchester St. Gallen unter Jeremy Carnall spielt einen schlanken, punktgenauen Mozart mit witzigen Intermezzi (Roberto Forno am Flügel): Keine Ohrwurm-Oper wie die «Zauberflöte», doch eine Partitur voller Pretiosen. Die zur Premiere sauber landete.